Schweizzzzzz 19.2.2021: Inzest
ohne Penetration in den 1970er und
1980er Jahren - Sexualität+Vertrauen
tief erschüttert:
Ex-Miss-Schweiz spricht über
Missbrauch: «Ich
dachte, das gehört zur
Vater-Tochter-Beziehung»
https://www.blick.ch/schweiz/ex-miss-schweiz-spricht-ueber-missbrauch-ich-dachte-das-gehoert-zur-vater-tochter-beziehung-id16347056.html
<Väter als Täter: Nach der
Inzest-Debatte in Frankreich spricht die Walliser
Ex-Miss Sarah Briguet über ihre Kindheit.
Missbrauch in den eigenen vier Wänden, nicht durch einen
Unbekannten, sondern durch den geliebten Vater: Inzest ist
ein unvorstellbares Delikt. Doch er geschieht jeden Tag.
Frankreich ist seit Anfang Jahr mit einer beispiellosen
Welle von Opfer-Aussagen konfrontiert (SonntagsBlick
berichtete). Der Ex-Miss-Schweiz Sarah Briguet (50) gab
das den Mut, über ihr eigenes Leben zu sprechen.
SonntagsBlick: Frau Briguet, wie geht es
Ihnen heute?
Sarah Briguet: Danke, heute geht es mir
gut. Dafür hat es allerdings vierzig Jahre, einen
Bruch in der Familie, eine lange Psychotherapie und
mehrere Klinikaufenthalte gebraucht.
Was ist geschehen?
Mein Vater missbrauchte mich zwischen meinem fünften
und dreizehnten Lebensjahr. Wenn meine Mutter nicht zu
Hause war, hat er Dinge mit mir gemacht, die ein Kind
nicht verstehen kann. Um zu bekommen, was er wollte,
hat er mich nie eingeschüchtert, aber massiv
manipuliert.
Wie das?
Indem er mir vermittelte, dass alle Töchter das mit
ihren Vätern tun. Ich spürte zwar die komische
Stimmung und dass etwas anders war, als wenn wir uns
vor der Schule umarmten. Aber ich vertraute ihm. Man
vertraut seinem Vater.
Was geht in solchen Momenten im Kopf eines
Kindes vor?
Ich mochte es nicht und verstand es nicht. Doch
irgendwann hatte ich verinnerlicht, dass das zu einer
normalen Vater-Tochter-Beziehung gehört. So wie man
keine Lust hat, Hausaufgaben oder Ämtli zu machen,
aber es halt trotzdem tun muss. Eines Tages aber, das
weiss ich noch genau, habe ich gedroht, mich aus dem
offenen Fenster zu stürzen.
Als Kind?
Als Sechsjährige.
Es hörte aber nicht auf ...
Nein. Mit dreizehn habe ich klar
realisiert, dass es alles andere als okay ist.
Ich habe ihm gesagt, dass ich Maman davon erzähle,
sollte er nicht damit aufhören.
Und dann?
Er fasste mich nie wieder an und verhielt sich, als
sei nichts geschehen.
Wie wird man nach einer solchen Kindheit
erwachsen?
Ich habe eine Lehre absolviert, um so schnell
wie möglich unabhängig zu sein, mit Achtzehn bin ich
ausgezogen. Um Familientreffen zu überstehen und meine
Mutter weiterhin sehen zu können, verdrängte ich, was
geschehen war. Meine Sexualität und das
Vertrauen in andere Menschen waren ins Tiefste
erschüttert.
Kann man den eigenen Vater hassen?
Das ist schwierig. Wenn wir zusammen draussen
etwas unternommen haben, liebte ich ihn. Wenn meine
Mutter weg war und er komisch wurde, hasste ich ihn.
Heute existiert er für mich nicht mehr. Es ist, als
sei er tot, ohne es zu sein.
Haben Sie jemandem davon erzählt?
Mit siebzehn habe ich mich jemandem aus meinem engen
Umfeld anvertraut. Die Person meinte, es sei besser,
zu schweigen. Mitte zwanzig brachte ich den Mut auf,
meine Mutter zu informieren. Sie war erschüttert –
ist aber noch heute mit ihm zusammen.
Sie glaubt Ihnen nicht?
Doch, ich denke schon. Aber sie meinte, er könne mir
ja nun nichts mehr anhaben, da ich nicht mehr im
Elternhaus wohne. Mein Vater beschimpfte mich zunächst
als krank und verrückt. Später bat er mich in einem
Brief um Verzeihung. Darin betitelte er den Missbrauch
allerdings als «leichtsinnigen Blödsinn». Ich glaube,
für ihn ist alles nur halb so schlimm, weil es keine
Penetration gegeben hat.
Sie haben lange gezögert, mit Ihrer Mutter
über das Erlebte zu sprechen ...
Natürlich. Ich wusste, wenn ich spreche,
zerstöre ich alles um mich herum. Das ist das Perfide
am Inzest: Man verliert oft die Familie. Mit meinen
engen Verwandten habe ich seit einem Jahr keinen
Kontakt mehr, denn sie haben sich auf die Seite meines
Vaters gestellt. Dabei hänge ich sehr an meiner
Mutter. Ich denke, für diese Menschen ist es viel zu
schwer, zu akzeptieren, was stattgefunden hat, also
verdrängen sie es.
1994 wurden Sie zur schönsten Frau des Landes
gekürt …
... und plötzlich war ich wieder ein Objekt.
Mein Selbstbewusstsein war auf dem Nullpunkt. Ich
hatte Sehnsucht nach Geborgenheit, die ich zu Hause
nicht genügend erhielt. Die Fans und die Bühne gaben
mir genau dies – es ist ein zweischneidiges Schwert.
Das Jahr als Miss behalte ich aber in schöner
Erinnerung, da war beispielsweise das Treffen mit
Nelson Mandela.
Welche Folgen hatte der Missbrauch für Sie?
Inzest frisst das Innere eines Menschen auf.
Ich war jahrelang suizidal und ritzte mich. Vier- bis
fünfmal pro Tag spielten sich die Szenen vor meinem
inneren Auge ab. Seit zwei Jahren hilft mir die
EMDR-Traumatherapie, alles aufzuarbeiten. Die Methode
wird auch bei Bataclan-Überlebenden oder
Vietnam-Kriegsveteranen angewendet. Seither geht es
mir viel besser. Meine Kinder haben mich ebenfalls mit
dem Leben versöhnt.
Ihr Fall ist verjährt. Für Ihren Vater gilt
die Unschuldsvermutung.
Als ich ihn mit 26 Jahren anzeigen wollte, teilte mir
mein damaliger Anwalt mit, der Missbrauch sei
verjährt (seit 2008 sind Sexualdelikte an Kindern
unter zwölf Jahren nicht mehr verjährbar; Red.). Ein
Schlag ins Gesicht! Solche Verbrechen sollten heute
auch rückwirkend eingeklagt werden können. Es braucht
oft Jahrzehnte, bis das Erlebte verarbeitet ist und
sich die Opfer gewappnet fühlen, die Justiz
einzuschalten. Ein wenig Gerechtigkeit aber wird es
vielleicht doch geben: Meine Aussagen werden
innerhalb eines anderen, nicht verjährten Falles im
familiären Umfeld angehört.
Sie sprechen nun selbst öffentlich darüber.
Weshalb?
Ich will anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht
alleine sind und ihnen Hoffnung machen: Man kann damit
abschliessen und glücklich werden. Aber es braucht
mehr Prävention in den Schulen – sie müsste
obligatorisch sein. Es braucht mehr sensibilisierte
Eltern und mehr offene Diskussionen. Die
#MeTooInceste-Bewegung aus Frankreich schaffte es
bisher nicht, in die Schweiz zu gelangen – vielleicht
klappt es jetzt.
Gegen Briguets Vater läuft eine Untersuchung
der Staatsanwaltschaft zu ähnlichen Vorwürfen. Er
lebt in Spanien und war für eine Stellungnahme nicht
erreichbar.>
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