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Psychologie: Töchter und Väter - mit Literaturbeispielen

Die verschiedenen Familienkonstellationen und Rollenspiele zur Ausbildung einer ausgeglichenen Seele

1. Teil: Die Vaterfiguren als Faktor der Mädchenerziehung

Kapitel 4. Die geharnischte Amazone



Literaturbeispiel: June Singer: Buch: "Nur Frau - nur Mann?"

4.1. Der Superstar und Workaholic
Literaturbeispiel: Sylvia Plath: "Die Glasglocke"

4.2. Die pflichtbewusste Amazonen-Tochter
Literaturbeispiel: Jenny im Film von Ingmar Bergman: "Von Angesicht zu Angesicht"

4.3. Die stille, leidende Märtyrer-Amazone
Literaturbeispiel: Film von Fellini: "Julia und die Geister"

4.4. Die Märtyrer-Kriegerkönigin
Literaturbeispiel: C.S.Lewis: Roman: "Till We Have Faces" ["Bis wir Gesichter bekommen"]

4.5. Die Verzweiflung der geharnischten Amazone

4.6. Der Heilsweg der Amazone: Die Verwandlung


von Michael Palomino (2004 / 2007)

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aus: von Linda Leonard; Kösel-Verlag, München, ohne Jahr

4. Die geharnischte Amazone

Amazonen in Sagen
Die Amazonen sind Töchter von Ares, dem Gott des Krieges und der Angriffslust. Amazonen provozieren eine unbewusste Identifikation mit dem männlichen Prinzip des Kampfes.

In Sagen entwerten Amazonen die Männer, indem sie die Männer von allen herrschenden Positionen ausschliessen. Männer werden zu Sklaven, Söhne zu Dienern, oft verstümmelt, physische wie soziale Entmachtung der Männer. Die Amazonen übernehmen alle männlichen Funktionen.

Die Amazonen haben den Ruf von Eroberinnen, Jägerinnen, wilden Kriegerinnen. Sie sind tapfere Reiterinnen, sie erziehen ihre Töchter nach diesem Muster wieder zu tapferen und kämpfenden Frauen.

In der Sage lassen die Amazonen ihre rechte Brust amputieren, um mit Pfeil und Bogen besser umgehen zu können.


Entstehen des Amazonenverhaltens
Die Töchter werden so, wenn sie einem nachlässigen oder unverantwortlichen Vater gegenüber stehen, und wenn der Vater emotional nicht präsent ist. Als Reaktion stellt die Tochter sich gegen ihn, gegen Männer generell, denn sie erlebt Männer als unzuverlässig. Als Folge ergibt sich in der jungen Frau die Tendenz, sich unbewusst mit dem männlichen Prinzip zu identifizieren. Tendenz je nach Veranlagung.

Falls betreffs der Schätzung des Weiblichen ein Versagen der kulturellen Repräsentanten des Vaterprinzips dazukommt, ist eine Reaktion gegen die verantwortungslose Autorität fast unvermeidlich. In der heutigen zeitgenössischen Kultur tritt dieses Muster der Amazone besonders häufig in Erscheinung.

Literaturbeispiel: June Singer: Buch: "Nur Frau - nur Mann?"
Schilderung: Die Amazone integriert ihre männlichen Eigenschaften nicht, sondern sie identifiziert sich mit den Machtaspekten des "Männlichen". Gleichzeitig verzichtet sie auf ihre Fähigkeit einer liebevollen Beziehung. Sie nimmt eine männliche Identität an.

Die Amazone ist vom Leben abgeschnitten, denn sie hat Machtbedürfnisse und schirmt sich gegen alles ab, was sie nicht kontrollieren kann. Sie ist in ihrem eigenen Panzer gefangen. Sie ist eine Persona, die ihrem eigenen Wesen aber möglicherweise nicht entspricht, da sie aus einer Reaktion und nicht aus ihrer weiblichen Mitte heraus entstand. Sie ist von ihren Gefühlen abgeschnitten, von ihrer Rezeptivität abgeschnitten, von der Stärke ihrer weiblichen Instinkte abgeschnitten.

[In diesem Sinn ist jede Amazone mindestens schizoid].

Amazonen aus unserer Kultur und Zeit
Amazonen entstehen heute aus Reaktion gegen die kollektive männliche Autorität, mit einer amazonenhaften Selbstbehauptung von Frauen fast im Kollektiv. Die kollektive männliche Autorität hat sich gegenüber dem Weiblichen wie ein nachlässiger Vater verhalten. Die Frauen ahmen dabei nur die Männer nach. Aber die eigentliche Herausforderung wäre dabei auch, das eigentlich Weibliche schätzen zu lernen.

Der Heilsweg der Amazone
Die Herausforderung der Amazone ist: das eigentlich Weibliche schätzen lernen.

Rilke darüber in "Briefe an einen jungen Dichter:

"... dass die Frauen durch die Fülle und den Wechsel jener (oft lächerlichen) Verkleidungen nur gegangen sind, um ihr eigenstes Wesen von den entstellenden Einflüssen des anderen Geschlechts zu reinigen ... Dieses in Schmerzen und Erniedrigungen ausgetragene Menschentum der Frau wird dann, wenn sie die Konventionen der Nur-Weiblichkeit in den Verwandlungen der Nur-Weiblichkeit in den Verwandlungen ihres äusseren Standes abgestreift haben wird, zutage treten, und die Männer, die es heute noch nicht kommen fühlen, werden davon überrascht und geschlagen werden."

Die amazonenhafte Reaktion ist also eine wichtige Phase in der kulturellen wie der persönlichen Entwicklung, ist aber nur ein Schritt innerhalb des weiblichen Entwicklungsprozesses.


Die Typen der Amazonen

4.1. Der Superstar und Workaholic

Die häufigste Reaktionsweise der Tochter auf einen verantwortungslosen Vater ist: Sie macht das, worin der Vater in Arbeit und Leistung versagt hat. Die Tochter schafft sich selbst ein Identitätsgefühl und Verhältnis zur Arbeit als Kompensation des Versagens des Vaters.

Folge: Dieser Kompensationsdrang führt zur Überarbeitung, zur übersteigerten Leistung, schlussendlich zum Workaholic, zum arbeitssüchtigen Menschen. Die betroffene Frau fühlt sich ausgepumpt, von Gefühlen und Instinktquellen abgeschnitten. folge sind Depressionen, Sinnverlust, denn die Identifizierung mit der Arbeit genügt für das Leben nicht.

Literaturbeispiel: Sylvia Plath: "Die Glasglocke"
Hauptperson ist Esther Greenwood, Vorzugsschülerin, zwingt sich zum Erfolg ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, gewinnt einen Preis, ist in Gesellschaft von reichen Töchtern. Sie selbst kommt aus armem Milieu, der Vater starb, als sie neun Jahre alt war.

Mit alle dem Erfolg sollte Esther überglücklich sein, ist es aber nicht, sondern sie ist in Wahrheit gelangweilt und deprimiert.

Deutung der psychischen Konstellation von Esther:
Hinter allen Leistungen steht eine tief verwurzelte Depression. Die Leistungen haben für ihr Leben dadurch keinen Sinn. Sie überdeckt die Depression mit zynischem Humor und schirmt sich dadurch von ihren Gefühlen ab.

Esthers Beziehungen zu Männern im Buch:
sind alle aus zuschauerartiger Distanz, objektiviert, Spüren eines Kicherns im Hinterhalt, total kaltes Gefühl. Motto:

"Wenn man von jemandem nichts erwartet, ist man nie enttäuscht."

Denn die Grunderfahrung mit Männern ist das Verlassenwerden: der Tod des Vaters. Dafür ist die Mutter eine Märtyrerin. Darauf folgen eine Reihe von unpersönlichen Beziehungen. Esther nimmt die Männer primär als "Frauenhasser" war, unberechenbar, unzuverlässig.

Das Schicksal führt in die Sackgasse und aus der Sackgasse
Der erste Frust im Beruf folgt: Eine Bewerbung für einen Schriftstellerkurs in New York wird abgelehnt. Esther muss zurück aufs Land, verbringt einen inhaltslosen Sommer. Damit folgen aber Schritte der Entwicklung: Viel Schlaf - Schlaflosigkeit - Selbstmordphantasien - sie fühlt sich in eine Glasglocke eingesperrt - Selbstmordversuch - Einweisung in Klinik, dann der Umschwung: Gute Therapeutin, Zärtlichkeit und Verständnis - Mut finden, es wieder mit der Welt aufzunehmen, nicht mit absoluter Sicherheit, sondern mit "Fragezeichen".

Die Mutter, die amazonenhafte Märtyrerin, verleugnet ihre Gefühle. Die Tochter fühlt sich so nie angenommen, so wie sie ist, entwickelt nur ihre männliche Seite, bezieht ihre Identität aus der Leistung. Sie ist von Sinnenhaftigkeit und ihrem Sein als Frau abgeschnitten.

Das Buch ist Beispiel für folgendes Modell der Amazonen-Heilung
Vater abwesend, Mutter übernimmt die männliche Rolle: Vorbild des Männlichen wie des Weiblichen fehlen. Hilfe nötig, von einer Frau, die das männliche wie das weibliche Prinzip in sich integriert hat. Wenn die konkrete Erfahrung mit dem Vater fehlt, ist die Brücke über die Weisheit einer Frau wahrscheinlich am ehesten erreichbar. Arbeit mit einer Therapeutin nötig. Ziel: Arbeit und Leistung müssen aus der Wesensmitte kommen, nicht aus einem abgetrennten Teil des Selbst, dann ist die Heilung eine echte Erfüllung.


Die Frauenbewegung
gleicht Esthers Weg. Auftrumpfen und Ablehnen der Männer. Dahinter aber steht ein männliches Modell des persönlichen Ausdrucks. Häufig erscheint es nur als Nachahmung des Mannes. Entscheidend ist das Erkennen, dass die Rückbindung an das Weibliche einen Wert hat, dass man versteht, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und dass dies anerkannt wird.

Analyse des Superstars
Beim Eintritt in die Analyse sind die Superstars meist erschöpft, suchen eine Beziehung. Sie haben das Gefühl, dass Männer Angst vor ihnen haben. Die Väter dieser Töchter machen ihre Töchter zu Söhnen, sie sollen stellvertretend für den Vater das unverwirklichte Potential leben, das die Väter nicht verwirklicht haben.


4.2. Die pflichtbewusste Amazonen-Tochter

Literaturbeispiel: Jenny im Film von Ingmar Bergman: "Von Angesicht zu Angesicht"
Jenny ist eine Anpasserin, tüchtig, diszipliniert, verantwortungsvoll, jedoch plötzlich kommt der Zusammenbruch, der Selbstmordversuch, das Krankenhaus, Halluzinationen, Träume, Rückkehr in die Vergangenheit, Konfrontation.

die Krise wird ausgelöst durch den erschöpften Zustand, durch Beruf und gleichzeitiges überbrücken einer Zeit zu Hause, durch Aufsteigen von Erinnerungen in Träumen, die in das wohlorganisierte Leben von Jenny eingreifen. Das wichtigste sich wiederholende Bild ist eine furchterregende, alte Frau in Schwarz oder Grau mit nur einem lebendigen Auge, die andere Augenhöhle ist starr und leer. Das Bild symbolisiert den Komplex des blinden und sturen, negativen Pflichtgefühl, das Jenny dominiert.

Die Entstehung der pflichtbewussten Amazonen-Tochter
Jenny erlebt eine zärtliche Vaterbeziehung, aber leider ist er Alkoholiker. Der Vater wird von der Mutter wie der Grossmutter getadelt. Jenny empfindet die Zärtlichkeiten ihres Vaters schliesslich als peinlich.

Plötzlich kommen die Eltern durch einen Flugzeugabsturz ums Leben, Jenny zieht zur Grossmutter. Diese Grossmutter verlangt eiserne Disziplin: Tränen, Milde, Schwäche, Faulheit, Vergnügen gibt es nicht. Es gelten nur Pflicht, Disziplin und Kontrolle. Jenny fügt sich, wird eine "brave" Tochter, dann die gewissenhafte, verantwortungsvolle, verlässliche erwachsene Frau.

Unter der Schale befindet sich das gehemmte, paralysierte Kind. Jenny wird in Halluzinationen mit Menschen konfrontiert, die sie sorgfältig "beiseite geräumt" hat.

Traum: Jenny im Sarg in rotem Kleid, rotes Kleid wird von Geistlichem abgeschnitten. Jenny zündet den Sarg an, als der Geistliche den Sarg schliesst. Alles brennt.

Deutung:
Gefühle und Leidenschaften sind im Sarg, wollen hervortreten und leben. Geistliche sind Symbol für die alten Kräfte des Pflichtbewusstseins. Ergebnis der tat des Geistlichen ist eine riesige Flamme, ein leidenschaftliches Feuer, das niemand unterdrücken kann.

Jenny gewinnt neue Einsichten. Das Streben nach Kontrolle hat ihr Leben erstickt. Sie ist nicht fähig, dies loszulassen. Gleichzeitig sieht Jenny, dass die Grossmutter selbst unter ihrer Disziplin-Sucht leidet.

Abschütteln des Pflichtbewusstseins bei Pflicht-Amazonen
Solche Pflicht-Amazonen-Menschen müssen vor allem erkennen, dass ihnen das Pflichtbewusstsein von jemandem anders aufgedrängt wurde. Die Pflicht-Amazonen müssen einsehen dass dieses Menschenbild nicht zu ihnen gehört. Sie müssen ihre eigene Kreativität, die eigene Persönlichkeit finden.

Nonnen-Menschen
Dieser Frauentyp neigt dazu, sich hinter der eigenen Persona zu verstecken nach einem Modell, das nicht ihr eigenes ist, das an Pflichtbewusstsein und an autoritäre Strukturen gebunden ist. Das Nonnengewand hat die Funktion eines Panzers: Die Weiblichkeit wird verhüllt, wobei die Weiblichkeit als dunklere, schwächere Seite empfunden wird.

Nonnen in der Therapie
-- sie müssen ihren Panzer "ausziehen"
-- die nicht zugelassene Seite kommt zum Vorschein
-- wenn dieser Prozess nicht bewusst geschieht, besteht eine gewisse Gefahr, denn die neu sichtbaren Seiten sind unterentwickelt und in primitivem, unerlebtem Zustand.

Dressur-Kinder
Die Tochter gehorcht ihrem Vater so, dass sie die Berufswahl auf seine Meinung abstimmt. Der Vater meint, Frauen sollen nur Assistentinnen, aber nicht Ärzte, Rechtsanwälte oder Professorinnen werden. Die Tochter fügt sich, aber sie sehnt sich, ein wirklicher "Profi" zu sein.

Traum mit Opferungen: Eintritt ins Kloster, Tagebücher werden geopfert (verbrannt), die Haare werden abgeschnitten.

Deutung:
Das Opfern der Tagebücher und der Haare sind die Opfer, die ihr Vater von ihr fordert, wenn sie von ihm geliebt werden will. Die Tochter soll ihre schöpferische Energie opfern.

Traum mit verbotenem Kind durch den Königsvater: Heirat mit König (der Vater), sie bekommt ein Kind von ihm, der König will das Kind nicht, denn das Kind bringe nur den Stammbaum durcheinander. Der König lässt die Königin ins Gefängnis stecken. Da tötet die Gefangene eine Nonne, flieht so unerkannt aus dem Gefängnis im Kostüm.

Deutung:
Die Tochter verdeckt ihre schöpferische Energie auch am Schluss noch mit dem Kostüm, sie verdeckt ihr Ich, so kann sie überleben.

Nach der Therapie und nach der Arbeit an sich selber hat die Betroffene Träume, in denen sie ohne Verstellung gewinnt.


4.3. Die stille, leidende Märtyrer-Amazone

ist eine weitere Form des Amazonendaseins, mit Versteinerung des Amazonenpanzers in einer Märtyrerhaltung. Dieses Verhalten bedingt einen Lebensstil, der an Einschränkungen und an passive Ressentiments gebunden ist. Oft ist dieser Lebensstil mit einer anhaltenden Leidensmine maskiert.

Literaturbeispiel: Film von Fellini: "Julia und die Geister"
Julia spiegelt falsche Tatsachen vor, um der Gesellschaft zu gefallen. In der Ehe spiegelt sie eine zufriedene Ehefrau vor. Dann kommt der Schock durch Geister, die sagen: "Niemand braucht dich; du bedeutest niemandem etwas."

Julia versucht, diese Botschaft zu ignorieren, aber dann tauchen Kindheitserinnerungen auf: Schöne Bilder, dann aber Erinnerungen an die gleichgültige Mutter von kalter Eleganz, Erinnerungen an den faschistischen Vater, der die Tochter in die Pfarrschule geschickt hat, und dort gab es Schulaufführungen, wo Julia eine Märtyrerin gespielt hat, die hat verbrannt werden sollen.

Das Theater hat Julia so geprägt, dass sie auch im Erwachsenenleben immer noch diese Rolle der heiligen Märtyrerin spielt: in der Ehe: Sie schweigt, stellt ihren Mann nie zur Rede, unterdrückt ihren Zorn, ihre Freude, damit unterdrückt sie aber auch die Sexualität. Sie hat Erinnerungen an den Grossvater, ein lebhafter, unkonventioneller Mann, der mit einer Zirkusreiterin durchbrennt.

Bei Julia bricht die Krise aus, als sie entdeckt, dass ihr Mann eine Affäre mit einer anderen Frau hat. Es brechen Träume und Visionen herein. Hauptfigur im Traum ist eine aufreizende, nackte Frau, die der Zirkusreiterin des Grossvaters ähnelt.

Julias Leben entwickelt sich weiter mit einem Kontakt zur freizügig sinnlichen Suzy mit dionysischem Lebensstil. Suzy lädt Julia zu einer Party ein, ist die Chance, in die Welt der Sinnlichkeit einzutreten. Aber das Bild der Märtyrerin drängt sich dazwischen. Julia verlässt die Party.

Nur langsam zerfällt das bewusste, angepasste Ich von Julia. In Traumbildern kommen bedrängte, verhungernde türkische Angreifer vor, ausgemergelte, erschöpfte Pferde, eine Märtyrerin, die sich in eine Hure verwandelt.

Julia beginnt eine Psychodrama-Therapie. Der Therapeut stellt fest, Julia identifiziert sich zu sehr mit ihren Problemen, denn sie soll entspannt und spontan sein. Julia erkennt, dass sie Angst hat, glücklich zu sein. Ihre Ehe ist in Wirklichkeit ein Gefängnis. Zum ersten Mal lässt sie Gefühle zu: Eifersucht, Aggressivität, Rachsucht, Weinen, Selbstmordgedanken. Es entsteht Zorn, und das ist auch gut so, denn so kann am Zorn die Selbstbehauptung wachsen.

Julia kann die Angst gegenüber der Mutter ablegen. Traum: Sie befreit ein gemartertes Kind. Die Mutter und all die gequälten Gestalten verschwinden. Eintreten des Grossvaters, der das Kind willkommen heisst. Abstreifen des Wesens der Märtyrerin, Zulassen des Geistes des Kindes, Verlassen des Gefängnisses ihres Hauses.

Das Wesen des stillen Märtyrerdaseins
-- Julia ist in der Ehe besitzergreifend, lebt aber im Schatten ihres Mannes
-- Julia passt sich den einengenden, kollektiven Werten an, die ihre Individualität und die eigene weibliche Schönheit hemmen
-- Fellini will mit dem Film der Frau die Würde zurückgeben
-- Fellini über Frauen: "Die Ehefrau darf weder eine Madonna noch ein Instrument der Lust und am wenigsten eine Dienerin sein."

Hauptmerkmal des Lebensstils der stillen Märtyrerin
ist die schwer arbeitende Dienerin (als Ehefrau oder als Mutter oder beide). Dieser Lebensstil entsteht, wenn der Vater schwach ist und die Mutter dauernd kritisiert: Die Tochter nimmt die Meinung der Mutter an und gibt das Muster weiter, heiratet einen schwachen Mann, so dass der Mann quasi zum Sohn wird und sie selbst eine Mutterrolle gegenüber dem Mann führt.


Alexander Lowen über das Wesen des stillen Märtyrerdaseins
Das stille Märtyrerdasein hat einen passiv-unterwürfigen, masochistischen Aspekt, hinter dem sich ein Gefühl der Überlegenheit, Feindseligkeit und Verachtung gegenüber dem Männlichen verbirgt.

Die Handlungen einer stillen Märtyrerin sind gekennzeichnet durch zu viel Fürsorge und Bemuttern und / oder ein strenges Regiment über die Kinder. gleichzeitig kommt oft eine asexuelle Lebenseinstellung dazu, das den Ehemann zusätzlich schwächt.

Das stille Märtyrertum ist eine absolute Selbstverleugnung. Die betroffene Person wird Aussenseiterin, empfindet sich als abgelehntes Opfer, will bemitleidet werden, will dafür anerkannt und bedauert werden, dass sie sich selbst verleugnet.

4.4. Die Märtyrer-Kriegerkönigin

ist eine weitere Reaktionsweise auf einen verantwortungslosen und schwachen Vater. Die Tochter strebt das Gegenteil an, strebt danach, eine starke, entschlossene Kämpferin zu werden, und geht dabei noch weiter und nimmt den Kampf gegen den Vater auf, gegen seine Irrationalität, die sie am Vater als degeneriert erlebt.

Literaturbeispiel: C. S. Lewis: Roman: "Till We Have Faces" ["Bis wir Gesichter bekommen"]
Ein brutaler König opfert die jüngste Tochter Psyche, die von der ältesten Tochter Orual aufgezogen wurde:

Der Vater ist ein destruktiver und brutaler König, der seine jüngste Tochter Psyche der Göttin Aphrodite opfert, um seine Untertanen zu besänftigen, denn die Tochter soll für Hungersnot und Pest verantwortlich sein.

Der Vater opfert liebe eine Tochter, statt die Probleme in verantwortungsvoller Weise zu bewältigen. Die Opferung zeigt seinen Mangel an eigener Stärke. Stattdessen macht der Vater hauptsächlich Gelage, Jagden, strebt dem Geld und der Besitzvergrösserung nach. Für seine Töchter hat er keine Zeit, und er nimmt ihnen übel, dass sie keine Söhne sind. Der Vater bekommt Wutausbrüche und beschimpft seine Töchter: Psyche sei eine Dirne (sie ist eine puella-Figur), und für die weiteren Töchter hat er ähnliche Komplimente: Orual, die älteste, soll "hässlich" sein.

Orual übernimmt als älteste Tochter die Mutterrolle, weil die Mutter bereits gestorben ist. Orual betrachtete Psyche sogar als ihr Kind, dabei mit einer grimmigen Mutterliebe.

Nun opfert der Vater Psyche, so dass Orual ihren wertvollen "Besitz", die junge Schwester, die sie gross gezogen hat, verliert, die geliebte Psyche. In der Folge hasst Orual ihren Vater und alles, was er repräsentiert, mit Hass auf die Götter, weil sie ihre geliebte Schwester Psyche weggenommen haben. Oruals Bewusstsein dreht ins Negative und erstarrt im Negativen. Sie beginnt, gegen den Vater zu kämpfen (Schwert), und als der Vater stirbt, übernimmt sie den Thron.

In Orual bleibt aber die Bitterkeit, denn sie erkennt, dass ihr Leben nur ein Leben der Arbeit ist. Sie ist eine traurige und einsame Königin, mit einem riesigen Hass auf die Götter. Sie formuliert ein Testament mit lauter Anklagen, und gleichzeitig wird sie rasend, mit Träumen und Visionen.

Orual erkennt, dass sie durch ihre Reaktion gegen den Vater mit dem Versuch, sein Gegenteil zu sein, in derselben irrationalen Lebensweise gelandet ist. Sie erkennt ihre Aufgabe: nicht die Bekämpfung des Irrationalen, sondern: den degenerierten Geist in einen heiligen Geist verwandeln. Sie unterwirft sich der grösseren Macht der Götter, ist endlich fähig zu lieben.

Der trotzige Widerstand gegen die Götter war ein Versuch ihres Ich, Kontrolle über ihr Umfeld auszuüben, Besitz zu ergreifen. Die Art der Stärke hat sie von ihrem männlichen Vorbild übernommen, vom Vater. Das weibliche Lebenselement hat sie gleichsam entwertet, mit einer absoluten Entschlossenheit, auf Gedeih und Verderb.

Das Leben wurde auf diese Weise aber zur Plage, zu einer Serie von Kämpfen, ohne Genuss, mit Missachtung von Gefühlen und mit Missachtung ihres Körpers und ihrer Sexualität. Weibliche Empfänglichkeit bedeutet für diese Art Frauen eine schwächliche Passivität.


Fall Bobbie
Ein Vater gibt ihr einen männlichen Vornamen. Sie wächst quasi als Sohn statt als Tochter auf, wird ehrgeizig, entwickelt Konkurrenzgeist und wird zur zähen Kämpferin. Später im Leben zerstören diese Elemente ihre Ehe und stehen weiteren Beziehungen im Weg. Sie übt immer noch Härte und Kritik sich selbst gegenüber. In der Therapie beginnt sie zu meditieren. Sie wird empfänglicher und spontaner mit Menschen und beziehungsfähig.


4.5. Die Verzweiflung der geharnischten Amazone

Gemeinsame Merkmale aller Amazonen-Typen sind:
-- der Wunsch nach Kontrolle
-- alle Amazonen-Typen sehen den Mann eher als schwach und impotent
-- alle Amazonen-Typen entwickeln sich an einer Männer-Figur, die irrational und logisch nicht nachvollziehbar Macht über sie ausübt
-- alle Amazonen-Typen reissen die Macht an sich [um es "besser" zu machen als der terroristische oder der schwache Vater]: Die Töchter dieser unfähigen Männer bekämpfen die Unfähigkeit der Väter und stehen im dauernden Kampfvergleich.

Folge der Kontrolle: Übermass an Verantwortung, Übermass an Pflichten, Überlastung und Gefühl von Erschöpfung.

Das Bedürfnis nach Kontrolle beruht auf einer Angst vor dem Irrationalen. Ziel ist das Ausschalten des Irrationalen [folglich bleibt der Zugang zum tiefen seelischen und sexuellen Bereich verschlossen]. Die Betroffene bleibt völlig abgeschnitten von Spontaneität und vom Unerwarteten. Das Leben bleibt ohne Schwung und ohne Reiz. Die Betroffenen bekommen nach und nach das Gefühl, ihr Leben sei ausgetrocknet und sinnlos, weil die Begrenztheit und die Notwendigkeiten überbetont sind. Die Betroffene sieht sich selbst nur noch als endliches Wesen.


4.6. Der Heilsweg der Amazone: Die Verwandlung

Die Heilung von Amazonen erfolgt gemäss Kierkegaard durch Anpassung. Dabei besteht die Gefahr, dass man die Spontaneität nicht zuzulassen darf, denn die Spontaneität könnte die sichere Stellung in Gesellschaft und Beruf kosten.

Die Analyse hofft auf eine bewusste Wandlung der Betroffenen, bevor ein Zusammenbruch der Amazone eintritt. Die Betroffene muss die Kraft und den Mut aufbringen, sich aus der Falle ihres Amazonenpanzers zu befreien.

Erster Schritt: Den Panzer sehen, in dem die Amazone steckt - unter dem Panzer die Hilflosigkeit, die Abhängigkeit und die eigene Not entdecken - den Panzer als Maske erkennen, die leidende Arbeiterin in einem selbst erkennen, die gleichzeitig Opfer von Selbstmitleid und des Mitleids anderer ist.

Weiterer Schritt: Nach dem Erkennen der Schwäche muss diese Schwäche akzeptiert werden.


Weiterer Schritt: Erkennen der Wesensmitte, Erkennen von schon erworbenen Stärken, schon erworbene Stärke durch die Wesensmitte kommen lassen, statt sie durch das angepasste Ich forcieren.

Weiterer Schritt: Anwenden der Stärke in dem Bereich, vor dem die Betroffene Angst hat: im Bereich des Irrationalen.

Weiterer Schritt: Lernen, die unkontrollierbaren Aspekte des Daseins zu würdigen, denn so kann die Betroffene darin eine neue Quelle der Kraft finden. Der Weg dazu ist kein "Tun", sondern das Geheimnis liegt im "Nichttun": Spaziergänge, Besuche. Die Weisheit besteht darin, Dinge nicht zu forcieren, sonst erreicht man nur das Gegenteil vom Gewollten. Beispiel: Wenn man einem Pferd nachläuft, läuft es nur noch weiter weg. Im übertragenen Sinn: Es ist besser, das Irrationale von selbst zurückkommen zu lassen. Man kann schöpferische Energie nicht erzwingen, sondern nur warten, bis sie kommt.

Weiterer Schritt:
-- sich von der Vorstellung lösen, dass die Amazone wie ein Mann sein müsse, um Macht zu besitzen, die der Vater vor ihr nicht hatte
-- sich von der Vorstellung des Heroisch-Männlichen lösen
-- Erweichung des Panzers, einen weicheren Charakter annehmen, um zum Weiblichen in sich selbst und zum weiblichen Element in Männern ein schöpferisches Verhältnis zu finden und das dauernde Konkurrenzdenken und den dauernden Kampfvergleich ablegen
-- eine Beziehung ist dabei nicht angebracht, denn diese würde noch nach den alten Mustern und ohne jede Menschenkenntnis ausgesucht
-- Erweichen des Panzers durch liebevolle, männliche Figuren ("Mann mit Herz"), der eine warme, gemütliche Atmosphäre schaffen kann.

Casanovas verführen Amazonen
Casanovas lieben viele Frauen oberflächlich und vermitteln jeder das Gefühl, dass sie weiblich sei und geliebt sei. Der Casanova ist innerlich positiv gestimmt, der den Frauen ein Selbstwertgefühl gibt, mit Behutsamkeit und Sensibilität, was für die Amazone bisher unbekannt war. Auf den ersten Blick ist der Mann ein sensibler Mann, auf den zweiten Blick aber ein "Dummling" ohne inneren Weg.

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