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Bipolare Störung 06: Fall: Lithium als Stimmungsstabilisator

von Michael Palomino

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Wochenlang schwebt man im siebten Himmel ist voller Tatendrang, arbeitet Tag und Nacht...

gggBericht von Ilonka Liska

<Von einer manischen Depression kann jeder befallen werden; ich lebe schon seit über 30 Jahre damit und habe es geschafft auch zu überleben damit.

Heute geht es mir nicht gut; genau wie es mir die letzten 4 Tage schon nicht gut geht. Der Auslöser war eine Operation am Donnerstag letzter Woche. Nix ernstes, aber für mich schon wieder den Schupfer den es braucht um mich wieder in einer depressiven Phase zu stürzen und dabei ging es mir doch die letzten 10 Wochen so gut - viel zu gut wahrscheinlich wieder.

Das ist gerade das Tückische an dieser Krankheit; wochenlang schwebt man im siebten Himmel ist voller Tatendrang, arbeitet Tag und Nacht, braucht keinen Schlaf und ist voller Pläne und Ideen und dann....

Dann schlägt es wieder zu; man liegt im Bett und weint und weint. Die Welt ist Scheiße, keiner liebt mich, mich wird eh keiner vermissen und so fängt der Kampf ums Überleben an. Jeder Tag ist nur noch ein einziges Ringen um Selbstbeherrschung; ein innerlicher Kampf um, nicht einfach das Fenster auf zu machen und raus zu hopsen. Aber wahrscheinlich wird auch das nicht klappen; schließlich ist man ein Versager.

Die Tabletten (die übrigens nicht müde machen oder betäuben; ist nur Salz* drin) die ich jetzt seid zwei Jahren nehme, haben mir geholfen und in Lebensgefahr verkehre ich nicht mehr. Akute Selbstmordgefährdung besteht nicht mehr; so gesehen, bin ich jetzt für die Umwelt als geheilt zu sehen.

Aber mit einer manischen Depression ist man nie geheilt; ein falsches Wort, ein dummer Blick, schlechtes Wetter oder einfach nur eine Verspätung vom Bus - all das kann einen depressiven Phase auslösen (trotz Pillen, allerdings nicht mehr lebensbedrohend). Und auch in der Phase manischen lebt man nicht gerade sehr gesund; meist schlafe ich 5 bis 6 Tage nicht und lauge meinen Körper bis aufs Mark aus. Ich arbeite ohne Ende, mache Kundenreparaturen über Nacht (obwohl sie 14 Tage warten können), bügele die halbe Nacht oder putze 3-4x täglich das Badezimmer und innen drin brennt ein Feuer das mich vorwärts treibt. Bloß nicht sitzen, bloß nicht ausruhen, damit die Gedanken nicht wieder in der falschen Richtung, in Richtung Fenster, schweben. Die manischen Phasen lassen sich mit Tabletten nicht ausgleichen; also hibbele ich meist durch die Weltgeschichte wie ein Robin Hood.

Die manische Depression kann viele Gründe haben und ist in NICHTS zu vergleichen mit normalen Depressionen (die heilbar sind); entweder liegt es am Hormonhaushalt, ist durch eine andere Krankheit entstanden oder ist genetisch (also erblich) bedingt. Die ersten zwei Varianten sind sehr gut zu behandeln und teilweise auch heilbar, meine Variante ist es leider nicht.

Als Kind war ich sehr empfindlich und hatte irgendwie einen sechsten Sinn für Unheil und Wahrheit oder Lüge. Keiner hätte jemals daran gedacht, dass ich ernsthaft krank bin. Mit 5 Jahren wurde ich sexuell missbraucht und das über mehrere Jahre. Als ich dann 8, fast 9, war, meinte meine Mutter sie müsste mich aufklären. Da verstand ich dann was Sache war und sprang an dem Abend aus dem 4. Stock unseres Hauses. Seid dem bin ich behindert und habe dutzende Selbstmordversuche hinter mir.

Ich habe damals niemanden erzählt was der Grund für meinen Sprung war, aber ich wurde sehr schwierig im Umgang, sperrte mich wochenlang in meinem Zimmer ein und wollte mit niemanden reden. Mit 14 hatte ich dann schon einige Selbstmordversuche hinter mir; ich wurde in einer geschlossenen Anstalt für psychiatrisch gestörte Jugendliche gesperrt. Da stellte man endlich die Diagnose, ganz einfach durch eine Blutuntersuchung, und ich wurde unter Drogen (Valium und so Zeugs) gesetzt.

Man muss sich vorstellen das dies vor über 20 Jahren geschah und in Holland obendrein; damals war die Wissenschaft nicht so weit wie heute. Heute weiß man das eine manische Depression zu den Stoffwechselkrankheiten gehört, wie Diabetes, und das es KEINE psychische Erkrankung ist. In meinem Kopf fehlt nur ein einziges kleines Salz*; Lithium.

Nachdem ich zwei Jahre in der Klinik war, bin ich abgehauen; ich wollte mein Leben nicht als Zombie verbringen - ich hatte immer noch Träume, die ich wahr machen wollte.

Einmal aus der Klinik, habe ich mein Leben selbst in die Hand genommen und das ohne Tabletten. Ständig habe ich auf mich acht gegeben und hinter mir geschaut; soll doch keiner mitkriegen dass ich geisteskrank bin. Und jedes Mal die Rückfälle; ein Schritt vor und zwei zurück. Kaum einen Plan verwirklicht und schon wieder lag ich in der Klinik mit durchgeschnittene Pulsadern.

So ging mein Leben weiter; ständig wollte ich meine Umwelt beweisen das ich völlig normal bin und zerbrach das ein auf das andere mal an meiner eigenen Krankheit. Mittlerweile habe ich eine kaputte Ehe hinter mir und vor gut zwei Jahren merkte ich das auch meine zweite Ehe auf dem Weg zum scheitern ist.

Da habe ich mir dann ein Herz gefasst und bin zum Psychiater; der Spuk sollte ein Ende haben. Der Arzt war lieb und ich vertraute ihn sofort und nach den nötigen Blutuntersuchungen und Hirntests, konnte er die Diagnose manische Depression bestätigen. Allerdings erzählte er mir auch was man in den letzten 20 Jahren entdeckt hat über diese Krankheit; ich war nie geisteskrank - nur ein winziges Salz* fehlte meinem Körper. Durch die genetische Veranlagung wird dies in meinem Körper einfach nicht produziert. Was sagt man denn dazu? Ich rannte nach Hause und war euphorisch und erzählte meinem Matthias davon und bereits am Abend nahm ich erwartungsvoll die erste Tablette.

Bereits am nächsten Morgen wollte ich von im wissen ob ER schon etwas an mir merkt. Fünf Tage ging das so und ich zweifelte bereits an den Tabletten und dann....

Dann kam Tag sechs. Ich erwachte und fühlte mich anders? Frei? Ich konnte meinem Gefühl keinen Namen geben; mein Leben war einfach anders. Ich war lockerer im Umgang und sah nicht hinter jeder Tür Gefahr. Von Tag zu Tag wurde ich freier und meine Ehe schien fast gerettet. Wir hofften beide auf einen Neu-Anfang. Dann, nach einem Jahr, kam das was ich nicht wahrhaben wollte: der Rückschlag. Ich habe Mann, Haus, Geschäft und Freunde zurückgelassen und bin geflohen.

Schon nach drei Wochen habe ich gemerkt das ich einen riesigen Fehler gemacht habe und wollte zu meinem Mann zurück. Er blieb hart, machte mit Vorwürfe und ich war am Boden zerstört. Ein ganzes Jahr lang habe ich jetzt kämpfen müssen. Davon habe ich mich 6 Monate meiner Depression hingegeben und habe die Tabletten gesammelt. Irgendwann hatte ich dann 400 Stück zusammen. Das war vor sechs Monate. Seid 10 Wochen sind mein Bär und ich wieder zusammen; wir wohnen jetzt zwar getrennt, aber wir haben es schöner als wir es den letzten 12 Jahren jemals hatten.

Dadurch das wir nicht mehr unter einem Dach wohnen, fühle ich nicht mehr soviel Leistungsdruck und kann leichter mit kleinen Rückschlägen umgehen. Wir sehen uns jeden Tag, aber ich kann jetzt auch mal sagen dass ich mal 2 Tage für mich brauche. Ich habe entdeckt, daß es mir besser geht und ich wieder zu mir selbst finden kann, wenn ich mal alleine für mich sein kann.

Mit meinen Tabletten und mein halbes Singleleben, habe ich für mich die ideelle Form gefunden um mit meiner manischen Depression umzugehen. Was ich aber bis heute nicht vergessen kann, ist die Tatsache, dass ich über 20 Jahre geglaubt habe geisteskrank zu sein und es nicht war. Da kann ich den Ärzten in Holland nur noch verachten.

Letztes Wort zu manisch-depressiven in Holland:
Seid letztes Jahr gibt es dort ein neues Gesetz; sollte jemand aus dem Umfeld eines Patienten finden, das es schlecht mit diesem geht, so kann der Patient jetzt jederzeit und gegen seinen Willen in einer psychiatrischen Klinik eingewiesen werden für 3 Wochen Beobachtungszeit. Daher bezieht sich meine Bewertung nicht nur auf die Krankheit selbst, sonder auch die mittelalterliche Behandlungsweise, die man in Holland inner noch praktiziert.

Copyright Ilonka Liska, 2002>


Originalbeitrag erstmals erschienen unter: http://www.yopi.de/beitrag.116172.30973.50162.Depression.html?sid=c73fd615ceb8bed63709786be900d59a

*) Anmerkung der Redaktion: Lithiumsalz ist ein Medikament, das als Stimmungsstabilisator in der Therapie der Bipolaren Störung eingesetzt wird und "fehlt" nicht im Körper


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