aus: Wirkungen der Schule im
Lebenslauf. Ein Quellenlesebuch der Pädagogik Rudolf
Steiners, bearbeitet von Karl Rittersbacher;
Zbinden-Verlag, Basel 1975
Sich hineinfinden in die
Erwachsenenwelt
"Nun ist die allerwichtigste Zeit, in der der Mensch sich
ins Leben hineinfinden soll, allerdings nicht die
Schulzeit, sondern eine viel spätere Zeit; es ist die Zeit
der zwanziger Jahre, zwischen 20 und 30. Es ist diejenige
Zeit, die die älteren Epochen - die wir nicht
zurückwünschen wollen und können - den Übergang von der
Lehrzeit zur Meisterschaftszeit genannt haben. - In
solchen Übergangsbenennungen liegt manchmal etwas
ausserordentlich Vernünftiges. - In dieser Zeit wächst der
Mensch ja eigentlich erst ganz aus. Da muss er den Weg
finden, um im Leben geschickt zu werden." (S.30; D17)
Die Nachwirkungen der
Erziehung im Erwachsenenleben
"Aber gerade so, wie zum Beispiel gewisse Kopfschmerzen
von dem menschlichen Magen oder der menschlichen Leber
konstatiert werden können, so kann auch konstatiert
werden, dass gewisse Vorgänge in den zwanziger Jahren oder
in viel späteren Lebensaltern organisch zusammenhängen
(S.162) mit demjenigen, was beim Kinde sich entwickelt von
der Geburt bis zum Zahnwechsel. So wie man hinaufwirken
sehen kann die Prozesse der Verdauungsorgane in die
Prozesse des Gehirnes, so kann man hinüberwirken sehen
dasjenige, was sich im kindlichen Lebensalter bis zum
Zahnwechsel um das siebente Jahr herum entwickelt, in die
spätesten Lebensalter des Menschen."
(S.163; D7, 1. Vortrag)
Das Gebet der Kindheit
tritt im Erwachsenenalter wieder auf - Fähigkeit zu
segnenden Worten
"Nehmen wir also an, wir bringen so recht innerlich ein
Kind dahin, dass es seine Seelenverfassung ausfliessen
lassen kann in ein ehrliches Gebet. Das bemächtigt sich
des Kindes, das tritt dann in die Untergründe des
Bewusstseins. Und für denjenigen, der nun nicht bloss die
seelische Gegenwart eines Menschen beobachtet, sondern den
ganzen seelischen Organismus, wie er sich bis zum Tode hin
entwickelt, der wird finden, dass dasjenige, was da in der
betenden Ehrfurcht beim Kinde zutage tritt, nun
untertaucht, in der mannigfaltigsten Weise im seelischen
Leben sich metamorphosiert, verwandelt. Aber in einem
bestimmten Alter, vielleicht erst im Beginne der
dreissiger Jahre, der vierziger Jahre, tritt dasjenige,
was erst Hingabe im Gebete (S.163) im zarten Kindesalter
war, dadurch zutage, dass die Seele jene innere Kraft
bekommt, durch die ihre Worte für andere Menschen,
namentlich aber für Kinder, etwas Segnendes haben."
(S.164)
(S.163-164; D7, 1. Vortrag)
Ergebenheitsgefühl im
Kindesalter gibt später die Fähigkeit zu heilenden
Worten und Blicken
"Beobachtet man Kinder und sieht man, wie sie dadurch,
dass die Umgebung sich in der richtigen Weise zu ihnen
verhält, in einer berechtigten Weise den Erziehern oder
überhaupt denjenigen Personen, denen gegenüber das
berechtigt ist, ein Ergebenheitsgefühl entwickeln können,
und verfolgt dann weiter, was aus diesen Kindern im
späteren Leben wird, dann findet man, dass sich
dieses Ergebenheitsgefühl immer mehr und mehr so
verwandelt, dass aus diesen Kindern solche Menschen
werden, die für ihre Mitmenschen einfach dadurch, dass sie
da sind, dass sie zu ihnen sprechen, manchmal schon
dadurch, dass sie überhaupt ihnen nur in irgendeiner
Lebenslage einen Blick zuwerfen, zur Wohltat werden."
(S.166; D5, 5. Vortrag)
"Sie brauchen gar nichts zu sagen, bloss durch die Art und
Weise, wie sie da sind, wirken sie segensreich. Sie
begnaden gewissermassen, sie können segnen. Und gehen Sie
dem Lebenslauf solcher Menschen nach ... dann finden Sie
(S.167), dass sie als Kinder - nicht in einer
zwangsmässigen - in einer richtigen Weise haben verehren
gelernt ... ich könnte auch sagen, beten gelernt, wobei
ich unter beten im umfassenden Sinne auch die Verehrung
eines anderen Menschen verstehe." (S.168)
(S.167-168; D11, 1. Vortrag)