aus: Wirkungen der Schule im
Lebenslauf. Ein Quellenlesebuch der Pädagogik Rudolf
Steiners, bearbeitet von Karl Rittersbacher;
Zbinden-Verlag, Basel 1975
Trivialer
Anschauungsunterricht provoziert Schlaftätigkeit
"Wenn wir das Kind namentlich auf Betrachtliches
hinzuweisen haben [...], so ist dies - wenn ich mich des
paradoxen Ausdruckes bedienen darf, eine wachende
Schlaftätigkeit für das Kind. [...] In einem leiseren Grad
wird tatsächlich beim betrachtlichen Unterricht im
Organismus dieselbe Erscheinung hervorgerufen wie im
Schlaf, nämlich ein gewisses Aufsteigen der organischen
Tätigkeit von unten nach oben. Kinder, denen wir
Geschichte erzählen, entwickeln organisch dieselbe
Tätigkeit, die der Mensch im Schlaf entwickelt, wo ihm
auch die Stoffwechselprodukte ins Gehirn steigen. Wenn wir
die Kinder sitzen lassen und sie so beschäftigen, dass sie
betrachten müssen, ist es so, wie wenn wir in ihnen eine
leise Schlaftätigkeit des Organismus hervorrufen."
(S.171; D6, 1. Vortrag)
Die Schule von 1850 bis
1900 hat die Phantasie verboten
"Was hat die zweite Hälfte des 19. Jh. gegen das
Hereindringen der Phantasie in das Unterrichtswesen
gewettert! Wir haben in der ersten Hälfte des 19. Jh.
solche leuchtende Gestalten wie zum Beispiel Schelling;
Menschen, die auch in Pädagogik gesunder gedacht haben.
Lesen Sie die schöne, anregende Ausführung Schellings über
die Menschen des akademischen Studiums - was allerdings
nicht für die Volksschule, was für die höhere Schule ist -
worin aber der Geist der Pädagogik von der ersten Hälfte
des 19. Jh. lebt. Er ist dann im Grunde genommen in einer
etwas maskierten Form in der 2. Hälfte des 19. Jh.
begeifert worden, wo man alles dasjenige verschimpfte, was
irgendwie auf dem Umweg durch die Phantasie in die
menschliche Seele einziehen will - weil man feige geworden
war in Bezug auf das seelische Leben, weil man glaubte, in
dem Augenblick, wo man sich irgendwie der Phantasie
hingibt, werde man gleich der Unwahrheit in die Arme
fallen."
(S.209; D3, Band 1)
Temperamente
Cholerische Lehrpersonen
"Und wir sehen die Folgen des cholerischen Temperamentes
des Lehrers, der sich gehen lässt, in den
Stoffwechselkrankheiten nicht nur des Erwachsenen, sondern
des alt gewordenen Menschen zutage treten. Prüft man nur
recht, meine sehr verehrten Anwesenden, warum uns dieser
oder jener Mensch in seinem 40., 50. Jahre als Rheumatiker
entgegentritt, als jener Mensch, der an allen möglichen
Stoffwechselkrankheiten leidet, an schlechter Verdauung,
prüft man, warum dieser Mensch so ist, wie er ist, warum
er frühzeitig Gicht bekommt, dann bekommt man zur Antwort:
Vieles von dem haben wir zuzuschreiben dem einfach in die
Zügel schiessenden cholerischen Temperament eines Lehrers,
der dem Kinde im Kindesalter gegenüberstand."
(S.192; D13, 1. Vortrag)
"Wenn der Lehrende, der Erziehende, sich ganz gehen lässt
in diesem seinem cholerischen Temperament, dann wird
fortdauernd auf das Kind ein seelischer Eindruck ausgeübt,
welcher dahin geht, dass dieses Kind in Bezug auf sein
Zirkulationssystem, in Bezug auf alles das, was
innerlicher Rhythmus ist, starke Eindrücke erhält. Diese
Eindrücke, die gehen zunächst nicht sehr tief, aber sie
sind eben auch erst ein Keim; und dieser Keim wächst und
wächst und wächst, wie alle Keime wachsen. Es kann
zuweilen so im 40., 50. Lebensjahr in
Zirkulationsstörungen des rhythmischen Systems die Wirkung
ungezügelten cholerischen Temperaments beim Erziehenden
auftreten."
(S.196; D14, 1. Vortrag)
Phlegmatische
Lehrpersonen
"Die Seele des Kindes fühlt seelisch Atemnot, wenn der
Lehrer phlegmatisch ist. Und wenn wir nachschauen im
Leben, warum gewisse Menschen an Nervosität, an
Neurasthenie [Zustand nervöser Erschöpfung] und
dergleichen leiden, dann finden wir wiederum, wenn wir
zurückgehen in dem menschlichen Lebenslauf, bis zum
kindlichen Lebensalter, wie der nicht der Selbsterziehung
unterworfene Phlegmatismus eines Lehrers, der Wichtiges
hätte tun sollen an dem Kinde, solchen Krankheitsneigungen
zu Grunde liegt."
(S.193; D13, 1. Vortrag)
Die phlegmatische
Gleichgültigkeit der Lehrpersonen provoziert nervöse
Menschen
"Sie werden sagen, meine sehr verehrten Anwesenden, da
müsste man ja glauben, dass die gesamte Lehrerschaft in
der Zeit, in der die Menschen , die heute nervös,
neurasthenisch sind, erzogen worden sind, aus
Phlegmatikern bestanden hat. Ich aber sage Ihnen, meine
sehr verehrten Anwesenden, sie hat aus Phlegmatikern
bestanden, nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes,
aber in einem viel wahreren Sinne des Wortes. Denn es
kommt in einem bestimmten Zeitalter des 19. Jahrhunderts
die materialistische Weltauffassung herauf. Die
materialistische Weltauffassung hat Interessen, die vom
Menschen ablenken, die eine ungeheure Gleichgültigkeit
entwickeln bei dem Erziehenden gegenüber den eigentlichen
intimeren Seelenregungen des zu erziehenden Menschen."
(S.193; D13, 1. Vortrag)
"Es ist ein Phlegma eingetreten in allem Erziehen, in
einem gewissen Zeitalter der materialistischen
Entwicklung. Und aus diesem Phlegma heraus hat sich vieles
von dem, was in unserem Kulturleben aufgetreten ist als
Nervosität, als Neurasthenie, als die ganze
Desorganisation des Nervensystems, bei vielen Menschen
herausentwickelt."
(S.194; D13, 1. Vortrag)
"Nehmen wir den Phlegmatiker, dem alles gleichgültig ist,
was er mit dem Kinde tut. Ein ganz besonderes Verhältnis
spinnt sich an zwischen ihm und dem Kinde. Es ist etwas
nicht Kaltes, aber furchtbar Wässriges im seelischen Sinne
zwischen einem solchen Erzieher und dem Kinde. Es wird
nichts so stark entwickelt, dass ein richtiges Hin- und
Herströmen des Seelischen zwischen dem Erziehenden und dem
Kinde da ist; das Kind wird nicht genügend innerlich
regsam gemacht. Verfolgt man ein Menschenkind, das unter
dem Einfluss des Phlegmas, eines phlegmatischen
Temperamentes sich entwickeln musste bis in ein höheres
Lebensalter, so merkt man oftmals, wie Anlage zur
Gehirnschwäche, Blutleere im Gehirn, Stumpfheit der
Gehirntätigkeit im späteren Lebensalter auftritt."
(S.197; D14, 1. Vortrag)
Melancholische
Lehrpersonen
"Das Sichgehenlassen des melancholischen Temperamentes des
Lehrers wirkt für das spätere Lebensalter eines Kindes,
dem der melancholische Lehrer gegenübersteht, so, dass
Atmung und Blutzirkulation unregelmässig werden.
Derjenige, der nun weder als Lehrer bloss für die
Pädagogik den kindlichen Zeitraum ins Auge fasst, noch als
Arzt dasjenige Lebensalter, das ihm entgegentritt, wenn
der Mensch eine bestimmte Krankheit hat, sondern der im
Zusammenhang das ganze menschliche Leben betrachten kann,
der wird mancher Herzkrankheit Ursprung, die im 40., 45.
Lebensjahr auftritt, zu suchen haben in der ganzen
Stimmung, die durch das sichgehenlassende melancholische
Temperament des Lehrers hervorgebracht wird."
(S.194; D13, 1. Vortrag)
"Dadurch, dass er [die Lehrperson] eine solche Melancholie
in sich lebt, fühlt und denkt, dadurch entzieht er
fortwährend dem Kinde dasjenige, was eigentlich vom Lehrer
auf das Kind überströmen sollte: Wärme."
(S.197; D14, 1. Vortrag)
Sanguinische Lehrpersonen
"Der Lehrer ist eben Sanguiniker. Wenn man wieder
dieselben Methoden anwendet, die das ganze Menschenleben
betrachten, wird man bei manchem, der an einem Mangel an
Vitalität, einem Mangel an Lebensfreude leidet - das ist
ja krankhafte Anlage manches Menschen - diesen
zurückzuführen haben auf eine Ursache, nämlich auf die
Wirkung des in die Zügel schiessenden, sanguinischen
Temperamentes des Lehrers."
(S.195; D13, 1. Vortrag)
Der "Sanguiniker [...] er lebt auf besondere Art auch in
sich, aber mit sich in den äusseren Dingen. Das Kind kann
nicht mitgehen; die Reize, die gerade dadurch, dass der
Lehrer von Eindruck zu Eindruck eilt, auf das Kind
ausgeübt werden, sie greifen nicht an, denn das Kind
braucht liebevolles Gehaltenwerden bei einem Eindruck,
wenn es wirklich innerlich regsam genug gemacht werden
soll. Verfolgen wir ein Kind, das unter übertrieben sich
gehen lassendem Sanguinismus aufwächst, so zeigt es sich
im späteren Alter, dass der erwachsene Mensch, der sich
aus dem Kinde entwickelt hat, Mangel an Vitalkraft hat, zu
wenig Lebenskraft zeigt, wenig Gehalt zeigt und
dergleichen."
(S.197; D14, 1. Vortrag)
Unmoral bei Lehrpersonen bricht das Verhältnis
zu den Kindern
"Kein menschliches Verhältnis jedoch lässt sich
herstellen, ohne dass bis ins Innerste hinein
Aufrichtigkeit und nicht Lügenhaftigkeit herrsche. Und
Wahrheit muss herrschen zwischen den Menschen in allen
Verhältnissen."
(S.147; B1, 9. Vortrag)
"Es wirkt ungeheuer stark für das kindliche Alter noch
über den Zahnwechsel hinaus die innere Unwahrhaftigkeit
des Lehrenden und Erziehenden. Die innere Unwahrhaftigkeit
kann auch darin bestehen, dass man zum Beispiel ein
unehrlicher Frömmling ist, oder dass man sittliche Gebote
aufstellt für das Kind, bei denen es einem gar nicht
einfällt, sich selber hinterher darnach zu benehmen. Da
webt und lebt in unseren Worten und in dem, was wir vor
dem Kinde entwickeln, eine Unwahrheit. Von dem Erwachsenen
können wir sagen: Er merkt das nicht. Das Kind aber nimmt
das mit den Gesten auf. Und diese innerliche Unehrlichkeit
und Unwahrhaftigkeit, die wirkt auf dem Umwege über das
Nervensinnes-System ungemein stark auf die Organisierung
des Verdauungsapparates des Kindes, namentlich auf die
Entwicklung der Galle. Und die Gallen-Entwicklung ist dann
für das ganze Leben von einer ungeheuren Bedeutung."
(S.202; D11, 8. Vortrag)
Die Diktatur durch Lehrpersonen hat
Nachwirkungen
Willkürliche Diktatur der
Lehrperson in der Schule zwischen 7 und 14 Jahren ergibt
später möglicherweise schwache Verdauungsorgane
"Verdünnt man die Kräfte, welche den Stoffwechsel besorgen
sollen durch ein einseitiges Befehlen, einseitiges
Entwickeln der Willensimpulse als Lehrer, [dann]
entwickeln sich im Kinde die Schwächen der
Verdauungsorgane, die dann im späteren Alter zum Vorschein
kommen können."
(S.106; D13, 2. Vortrag)