aus: Wirkungen der Schule im
Lebenslauf. Ein Quellenlesebuch der Pädagogik Rudolf
Steiners, bearbeitet von Karl Rittersbacher;
Zbinden-Verlag, Basel 1975
Die Erziehung muss das Mitwachsen von Gedanken im Kind
berücksichtigen
"Derjenige aber, der lebensvoll denkt, er muss an eine
Erziehung denken, die dem Kinde alles dasjenige, was sie
ihm beibringt, so vermittelt, dass dieses mit dem (S.29)
Kinde wächst, dass dieses von vornherein ein wachsendes,
ein sich entwickelndes ist. Man muss die Dinge so an das
Kind heranbringen, dass sie ebenso wie die organischen
Glieder des Kindes metamorphosieren, sich umgestalten."
(S.30; A5)
"Der Mensch muss wachsen, vom 14. bis 20. Jahr, vom 20.
bis 25. Jahr und so weiter, und indem er wächst, müssen
seine Begriffe mitwachsen (S.100). Sie müssen sich
mitentwickeln können." (S.101; D4)
Begriffe müssen
mitwachsen können - leblose Definitionen und Logik
können nicht mitwachsen
"Plage ich mich [als "normale" Lehrperson] damit, einer
Klasse möglichst gute Definitionen beizubringen, dass die
Begriffe ganz fest sitzen, dass das Kind weiss, das ist
ein Löwe, das eine Katze und so weiter. Ja, soll das Kind
nun immer bis zu seinem Tode diese Begriffe beibehalten
können? (S.42) [...] Wir geben dem Kind Begriffe, die
nicht wachsen mit dem Kind. Wir geben ihm Begriffe, die
bleiben sollen, plagen es mit bestimmten Begriffen, die
bleiben sollen, während wir dem Kinde Begriffe geben
sollen, die wachsen können. Wir drücken die Seele
fortwährend in die Begriffe hinein, die das Kind bekommen
hat." (S.43; D16)
"Da muss man eben darauf hinschauen, wie das ganze Denken
noch kein logisches ist bei Kinde, sondern wie das ganze
Denken beim Kinde ein bildhaftes ist. Und durch seine
innerliche Natur lehnt das Kind das logische zunächst ab;
es will Bildhaftes haben." (S.151)
(S.151; D11, 4. Vortrag)
Wer Kinder mit Logik
erziehen will, sieht die Kinderseele nicht
"Heute haben die Leute die Meinung, dass man denken lernt,
indem man den werdenden Menschen logisch anleitet zum
Denken, weil man nicht beobachten kann, wie das Denken in
der menschlichen Natur drinnen figuriert. Ich muss
gestehen und darf es gestehen, ich habe die sechs
Jahrzehnte meines bisherigen Lebens immer dazu verwendet,
Menschenbeobachtung nach dieser Richtung hin zu treiben.
Wer den werdenden Menschen beobachten kann, wer
vergleichen kann den werdenden Menschen mit dem, was
Mensch geworden ist, der sieht gewisse Zusammenhänge, die
über die Lebensepochen des Menschen verbreitet sind, die
sich, wenn man nicht den Blick dafür geschult hat, sich
der Beobachtung eben entziehen."
(S.166; D5, 5. Vortrag)
Gleichnis: Die Begriffe
sollen so mitwachsen können, wie der Körper des Kindes
wächst
"Wir können ausser physischer Pflege dem Kinde nichts
anderes angedeihen lassen als dieses, dass wir es so
pflegen, dass seine Glieder möglichst frei wachsen können,
so lange Wachstumskraft in ihnen ist. Solche Begriffe,
solche Ideen, solche Empfindungen, solche Willensimpulse
müssen wir in das Gemüt des Kindes hineinsenken, die nun
(S.164) nicht scharfe Konturen haben, so dass sie
gewissermassen das Seelenleben in seinen einzelnen
Gliederungen fesseln, sondern die so wachsen wie die
physischen Glieder des Menschen." (S.165)
(S.164-165; D7, 1. Vortrag)
Begriffe, die mitwachsen
können - lebendig unterrichten mit Charakterisieren aus
verschiedenen Gesichtspunkten
"Der Erzieher muss darauf bedacht sein, dem Kinde solche
Begriffe zu übermitteln, welche der Mensch dann im
späteren Leben nicht mehr so hat, wie er sie einmal
bekommen hat, sondern die sich selbst umwandeln im
späteren Leben. Wenn Sie das machen, dann impfen Sie dem
Kinde lebendige Begriffe ein. Und wann impfen Sie ihm tote
Begriffe ein? Wenn Sie dem Kinde fortwährend Definitionen
geben, wenn Sie sagen: "Ein Löwe ist..." und so weiter und
das auswendig lernen lassen, dann impfen Sie ihm tote
Begriffe ein; dann rechnen Sie damit, dass das Kind, wenn
es 30 Jahre ist, noch ganz genau so diese Begriffe hat,
wie Sie sie ihm einmal beigebracht haben. Das heisst: Das
viele Definieren ist der Tod des lebendigen Unterrichts.
Was müssen wir also tun? Wir sollten im Unterricht nicht
definieren, wir sollten versuchen zu charakterisieren. Wir
charakterisieren, wenn wir die Dinge unter möglichst viele
Gesichtspunkte stellen." (S.98; D3, Band 1)
Begriffe sollen
mitwachsen - Definitionen wachsen nicht mit - Beispiel
Löwe - charakterisieren
"Nehmen wir an, jemand bekommt als Kind im 9. Jahre oder
im 11. Jahre von dem oder jenem einen Begriff, also im 9.
Jahre - sagen wir - von einem Löwen, im 11. oder 12. Jahre
von der griechischen Kultur. Schön, das bekommt es. Aber
diese Begriffe sollen nicht so bleiben. Es sollte das gar
nicht möglich sein im Leben, dass einer sagt mit 30
Jahren: Ich habe diesen oder jenen Begriff vom Löwen, den
habe ich in der Schule gelernt. Ich habe diesen oder jenen
Begriff vom Griechentum, das habe ich in der Schule
gelernt. Das müsste eigentlich etwas werden, was
überwunden wird.
Gerade so, wie das andere an uns wächst, so soll
dasjenige, was uns der Lehrer gibt, auch wachsen, soll ein
Lebendiges sein. Wir sollen solche Begriffe vom Löwen,
solche Begriffe vom Griechentum bekommen, die durch sich
selber im 30., 40. Jahre nicht mehr das sind, was sie
gewesen sind in der Schule, sondern die so lebendig sind,
dass sie sich mit dem Leben umgestalten. Dazu müssen wir
charakterisieren und nicht definieren."
(S.120; D5, 13. Vortrag)
Schulstoff ohne Anregung,
über sich nachzudenken
"Bis zu diesem 9. und 10. Jahr muss man versuchen, das
Kind möglichst mit solchem Unterrichtsstoff zu
beschäftigen, der es nicht dazu zwingt, viel über sich
nachzudenken, sondern über die Dinge, die draussen im
Leben sind. Und zwischen dem 9. und 10. Jahr muss man
anfangen, ihm Begriffe, Vorstellungen beizubringen von
Pflanzen und Tieren so, dass es von einem solchen
Nachdenken über die Welt den Übergang findet zu einem
Nachdenken über sich selber. Daraufhin muss aller
Unterricht gestaltet werden, dass man richtig in den
betreffenden Zeitpunkten, in denen gewissermassen die
innere Natur des Kindes es fordert, mit einer Sache
einsetzt." (S.32; D17)