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25.6.2012: Ernährungsexperte Grönemeyer über die Psychologie beim Kinderessen
aus: Welt online: Dietrich Grönemeyer: Sagt Kindern nicht, "Das muss gegessen werden"; 25.6.2012;
http://www.welt.de/kultur/article106798047/Sagt-Kindern-nicht-Das-muss-gegessen-werden.html
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Er weiß, wie Obst und Gemüse Spaß machen: Der Arzt und Ernährungsratgeber Dietrich Grönemeyer hat ein Buch über gesunde Ernährung für Kinder geschrieben. Ein Gespräch bei Gemüsestrudel.
Von Iris Alanyali
Der berühmte Professor hat lauter Bestseller geschrieben, einen über das Herz und einen über den Rücken zum Beispiel, und jetzt ein neues Buch, über gesunde Ernährung für Kinder. Also nehmen wir uns vor, bei der Verabredung zum Mittagessen gerade zu sitzen und nur einen Salat zu bestellen. Und dazu ausreichend Wasser zu trinken.
Und dann kommt Dietrich Grönemeyer daherspaziert in Jeans, mit dick gepacktem Rucksack und bunt kariertem Hemd, und sofort entspannen sich die Schultern, und man möchte am liebsten ein Bier mit dem Professor trinken und eine Currywurst dazu essen.
"Erst Currywurst, dann Kino, dann Döner": ein gelegentliches Freizeitritual Grönemeyers. Weil die Bochumer Instanz Dönninghaus, übrigens auch Bruder Herberts liebste Wurst, direkt neben dem Union-Kino liegt und die Dönerbude gleich auf der anderen Seite.
"Lieber mit Ketchup als mit Mayo"
Wenn Dietrich Grönemeyer selber kocht, dann gerne ayurvedisch, also ohne Fleisch, aber mit viel Gemüse und Gewürzen. Thailändische Küche mag er auch. Aber wir sind in Berlin-Steglitz, kulinarisch eher bedenklich. Der nagelneue Berliner Ableger von Grönemeyers Institut für Mikrotherapie [mit traditioneller, natürlicher und chinesischer Medizin] liegt nicht weit, deshalb hat er um einen Treffpunkt hier gebeten.
Wir entscheiden uns für das "Landhaus im Botanischen Garten", weil es so nett klingt und eine Terrasse an einem kleinen See hat. Es entpuppt sich als eines jener Ausflugslokale, die sich ganz auf ihre Lage verlassen. Auf der Karte stehen zum Beispiel "Leberkäse mit Spiegeleier (sic!), Bratkartoffeln und Ketchup". Aber vielleicht wegen des strahlenden Sonnenscheins, vielleicht wegen des schlechten Gewissens wählen wir beide den ambitionierteren "Gemüsestrudel mit Tomatenkräutersoße und kleinem Salat". Und eine große Flasche Mineralwasser dazu.
Viel trinken ist wichtig, gerade im Sommer. Steht auch im Buch. Und dass in einem Liter Orangenlimonade eine halbe Orange und 39 Würfel Zucker stecken. Und man nach Limos viel Wasser trinken sollte. "Das verdünnt die Schadstoffe und aktiviert die Ausscheidung." Es ist typisch für "Wir Besser-Esser", dass da eben nicht "Trinkt ja keine Limos!" steht. Es steht darin auch nicht "Keine Pommes!", sondern "Lieber mit Ketchup als mit Mayo". Und das Wundermittel gegen alles Übel: "Bewegen, bewegen, bewegen."
Nicht auf den Salat verzichten
Es ist das Markenzeichen Dietrich Grönemeyers und macht seine Glaubwürdigkeit und seinen Erfolg aus, dass er seine Ratschläge auf die Lebenswelten seines Publikums bezieht. "Essen soll schmecken und ausgewogen sein. Aber wer gern auch mal eine Currywurst oder einen Döner isst, sollte auf den Salat nicht verzichten."
Seit seinem Medizinstudium in Kiel setzt der Erfinder einer minimal invasiven Operationstechnik sich für eine "menschliche Medizin" ein, eine, die Hightech und alte Weisheit mithilfe des gesunden Menschenverstandes verbindet. Currywurst und Ayurveda eben.
[Die Hauptpersonen im Buch: Mini-Reporter und ein "Medicus"]
Und weil es dem Aufklärer Grönemeyer immer auch um die Hintergründe seiner Verbesserungsvorschläge geht, beginnt sein Ernährungsratgeber für Kinder mit einer Forschungsreise vom Mund durch Speiseröhre, Magen und Darm, die sechs "Mini-Reporter" mithilfe des Kleinen Medicus unternehmen. Er ist der körperreisende Titelheld aus Grönemeyers Bestseller von 2005, einem medizinischen Gesundheitsbuch.Aufklärungsarbeit an Schulen
Seit Jahren schon fordert Grönemeyer einen Gesundheitsunterricht an deutschen Schulen, betreibt dort mit seiner Stiftung regelmäßige Aufklärungsarbeit. Man müsse über Ernährung "noch mal anders nachdenken", sagt Grönemeyer. "Nicht nur als Energie- und Eiweißlieferant, sondern auch unter dem Aspekt, dass Ernährung psychisch verändern kann. Wenn man zu viel gegessen hat oder zu fett, macht das nicht nur dicker, sondern kann auch zu Kopfschmerzen und anderen Symptomen führen."
Vorwurfsvoll starrt man da auf den Gemüsestrudel, der sich inzwischen eingefunden hat. Frische, leichte Sommerküche sollte das sein. Und dann bekommt man rote Soße mit Pampe in einem Teig, der in der Mikrowelle zum glühenden Abwehrpanzer erstarrt ist.
Grönemeyers Buch sieht appetitlicher aus. Überall Fotos, auf denen er triumphierend Obst und Gemüse in die Luft reckt und mit seinen sechs "Mini-Reportern" und ihrem leuchtenden Broccoli um die Wette strahlt. Die Kinder sind echt, Schüler einer Kölner Grundschule, mit denen er die Ratschläge entwickelte.
"Stark durch Magerquark"
Natürlich wollen wir wissen, wie das bei ihm selbst so zuging. Drei Brüder waren sie im Hause Grönemeyer. Dietrich, der Älteste, Herbert, geboren 1956, und Wilhelm, der mittlere, ein Galerist, der 1998 an Leukämie starb. "Wir wuchsen mit regelmäßigem Frühstück, regelmäßigem Mittagessen und regelmäßigem Abendessen auf. Und Unmengen an Quarkbroten. "Ich hab so dermaßen viel Quark gegessen in meinem Leben …" Deshalb habe er ein Kapitel auch "Stark durch Magerquark" genannt.
Da lacht Grönemeyer, es ist ein lustiges Glucksen mit aufforderndem Blick, als sei ihm die Freude über die eigene Spaßigkeit ein bisschen peinlich, aber gleichzeitig auch völlig abwegig, dass da jemand nicht mitlachen könnte. Und es ist wirklich unmöglich, mit Dietrich Grönemeyer nicht über Kalauer wie "Stark durch Magerquark" oder "Turne bis zur Urne" zu lachen, als seien sie die größten Schenkelklopfer seit Jürgen von Manger.
Toastbrot mit Orangenscheiben
Am wichtigsten für das entspannte, glückliche Verhältnis zum Essen war wohl das Samstagabendritual vor der "Sportschau": "Da hing ich mit meinen Brüdern vor dem Fernseher, und wir haben uns selber Toastbrote gemacht, mit Käse, dann eine Tomate drauf, auch mal ein bisschen Orange.
Danach sind wir in den Garten gegangen und haben versucht, das alles nachzuahmen, was wir gesehen hatten." Orange? Orange? Anfang der Sechzigerjahre sitzen drei Jungs in Bochum vor der "Sportschau" und belegen sich ihr Käsebrot mit Orangenscheiben. Muss da nicht die Geschichte des Ruhrpotts umgeschrieben werden?
Und was ist mit Herbert Grönemeyers erstem Hit? "Kommse vonne Schicht/ Wat schönret gibt et nich/ Als wie Currywurst/ mit Pommes dabei." Dietrich Grönemeyer klärt auf: "Nee, damals nicht. Pommes mit Mayo war holländisch. Das halbe Ruhrgebiet fuhr im Sommer nach Holland ans Meer. Dort haben wir Pommes kennengelernt."
Die Grönemeyers kletterten auf Bäume
Dann gab es da noch den Schrebergarten hinter der Zeche Friederika, wo Vater Grönemeyer als Bergbauingenieur arbeitete, mit den Himbeersträuchern und Apfelbäumen. Und wenn sie nicht auf Bäumen kletterten, dann wurde woanders geturnt. Auch Grönemeyer singt das Klagelied von der heutigen Jugend, die den ganzen Tag nur vor dem Bildschirm sitze, während früher natürlich alle immer draußen waren:
"Wir haben versucht, Tennis zu spielen mit selbst gebastelten Schlägern. Und Fußball natürlich, alle zusammen. Die Kinder von Bergarbeitern, Ingenieuren oder Pförtnern, quer durch alle Schichten." Ob die Ruhrgebietler deshalb so patriotisch sind? Weil es im Ruhrpott offensichtlich zuging wie in Bullerbü?
Grönemeyer hört kurz auf zu kauen. "Das könnte stimmen, genau so war’s wirklich." Auch wegen der Vereine. "Jeder Betrieb gründete Sportvereine, und jeder war im Verein." Turnende Kumpels. "Das war eine Generation, die miteinander in Bewegung war."
Es gab auch Schweinebauch
Grönemeyers Vater turnte, spielte Faustball und war mit den Söhnen im Tennisverein. Seine Mutter machte Leichtathletik. Andere mögen an Schweiß und Stress erinnert werden, Grönemeyer wird bis heute von Glücksgefühlen durchströmt, wenn er eine Turnhalle riecht: "Ich hab’ immer das Gefühl, ich muss sofort einen Ball in die Hand nehmen oder eine Rolle vorwärts machen."
Wer aber glaubt, im Hause Grönemeyer habe nur Friede, Freude, Schrebergarten geherrscht, der irrt natürlich: "Andererseits gab’s da den Schweinebauch." Die fetten Schwarten. Und den Rosenkohl. "Alles, was auf den Tisch kommt, musste gegessen werden. Nachkriegszeit eben. Für mich war das unerträglich, wirklich, das ganze Fett. Das musste alles mitgegessen werden. Die Kinder sollten ja ,groß und stark' werden." Bis heute mag er keinen Speck.
"Außen knackig, innen süß"
"Dass man Kinder quält und sagt: ,Das muss gegessen werden.' Nein! Muss es nicht! Kinder haben einen anderen Geschmackssinn. Die mögen erst mal keine Bitterstoffe. Die mögen keinen Rosenkohl. Und wenn man sie dazu zwingt, fangen sie eben an, sich zu übergeben. Wie ich damals."
Vom gelassenen Grönemeyer ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen hängende Schultern, ein gekrümmter Rücken, ein nach innen gewandter Blick. Als wolle er seinen oft angemahnten Zusammenhang von Körperhaltung und Seelenlage illustrieren.
Nein, so wollen wir ihn nicht entlassen. Lieber wenden wir die grönemeyersche Methode an und reden über Süßes. Wir sind inzwischen beim Espresso, für Nachtisch bleibt keine Zeit, aber man darf ja träumen. Es stellt sich heraus, dass wir beide gerne von Schokoküssen träumen. "Dieses Harte und Weiche!", ruft er. "Außen knackig, innen süß", ergänze ich. "Perfekt!", sagt er. Manchmal muss man gar nicht essen und wird vom Essen trotzdem glücklich.>
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