Kindererziehung bei Kindern
von 6 bis 20 Jahren 02 - ab 10.4.2012
"US"-Schüler üben
mehrmals jährlich das Szenario mit bewusstlosem
Schulbusfahrer -- Ö: Hirnforscher meint, 1/5 der
Schulzeit würde bei effizienter Einteilung ausreichen --
Lernen lernen im Anti-Chaos-Training -- Leseförderung
und Lerntyp herausfinden -- Kinder für 1 Monat an der
Macht - ein Erfahrungsbericht --
<Rainbows-Ferienlager: Urlaub für Kinder in
schwierigen Situationen> -- <Musizieren verbessert
Geschicklichkeit> - das Gehirn wächst mit der
Herausforderung -- Jungs geraten immer mehr ins
Hintertreffen -- Sportverein ist eine soziale
"Konstante", provoziert aber hohen Alkoholkonsum --
Schwimmen lernen -- viele Kinder können nicht mehr von
Hand schreiben -- 10% der Kinderbücher enthalten
Tropenholz -- Kinder spielen immer weniger: 30% weniger
freies Spiel als noch vor 15 Jahren -- gewalttätige
Filme machen Kinder anfälliger für Werbung -- Vorlesen
und Lesen erhöht die Hirnmasse und verbessert das
Sozialverhalten -- Eltern müssen einfach da sein und
Kontakte steuern, damit die Kinder nicht in die
Kriminalität abrutschen -- Hirntraining durch Tanzen
bewirkt leichteres Erlernen von Fremdsprachen --
Eingesperrt? Botschaft via Papierflieger -- früher
Sprachunterricht bringt kaum was -- Test mit Kindern und
Jugendlichen: Facebook macht nicht dumm, ist gelogen --
10.4.2012: "US"-Schüler üben mehrmals jährlich das
Szenario mit bewusstlosem Schulbusfahrer - Beispiel
aus: 20 minuten online: Katastrophe abgewendet: Schüler
rettet Bus nach Kollaps des Chauffeurs; 10.4.2012;
http://www.20min.ch/panorama/news/story/20202205
<Ein Schulbusfahrer in den USA erlitt einen
Herzinfarkt am Steuer. Einer der Schüler übernahm sofort,
brachte den Bus am Strassenrand zum Stillstand und
verhinderte so Schlimmeres.
Das hätte schlimm enden können: Auf dem Weg zur Surprise
Lake Middle School im US-Bundesstaat Washington erlitt der
Schulbusfahrer am Montag einen Herzinfarkt. Der 13-jährige
Schüler Jeremy Wuitschick reagierte sofort und steuerte den
Bus an den Strassenrand. Nachdem er den Zündschlüssel
abgezogen hatte, begann er mit einer Herzmassage. Andere
Schüler riefen unterdessen einen Rettungswagen. Bald darauf
traf die Polizei ein und half den Kindern aus dem Bus.
Die Schulverwaltung erklärte der Zeitung «The News Tribune»,
der Zustand des Schulbusfahrers sei ernst. Die Schüler übten
mehrmals im Jahr was zu tun sei, wenn ein Busfahrer
bewusstlos werde.
(kri)>
*****
Österreich 15.4.2012: Hirnforscher meint, 1/5 der
Schulzeit würde bei effizienter Einteilung ausreichen
aus: Der Standard online: Hirnforscher: "Schule produziert
lustlose Pflichterfüller"; 15.4.2012;
http://derstandard.at/1334368981969/Hirnforscher-Schule-produziert-lustlose-Pflichterfueller
<Interview | Karin Riss
Kinder sollten den Lehrstoff nicht präsentiert bekommen,
sondern ihn sich selbst erarbeiten, meint Gerald Hüther.
Gerald Hüther über versaute Mathe-Karrieren - und was es
braucht, dass
Kinder nur ein Fünftel der Zeit in der Schule sein müssen.
STANDARD: Sie sagen, um nachhaltig zu lernen, braucht das
Hirn vor allem Begeisterung. Aber kann Lernen ohne Druck
überhaupt funktionieren?
Gerald Hüther: Die Hirnforschung kann inzwischen zeigen,
dass sich im Hirn nur dann etwas ändert, wenn es unter die
Haut geht. Das Hirn ist kein Muskel, den man trainieren
kann, indem man viel übt. Im Hirn passiert immer erst dann
etwas, wenn derjenige, der lernt, das für sich selbst als
wichtig beurteilt. Denn nur dann lässt man sich davon
berühren, dann gehen die emotionalen Zentren an. Und immer
dann, wenn im Hirn diese emotionalen Zentren aktiviert
werden, wird eine Art Dünger ausgeschüttet. Der düngt
gewissermaßen das Dahinterliegende, was man im Zustand der
Begeisterung an Netzwerken aktiviert hat. Und das führt
dazu, dass man immer das, was man mit Begeisterung lernt,
auch so gut behält.
STANDARD: Warum lernen kleine Kinder so viel und leicht?
Hüther: So ein kleiner Dreijähriger hat ja am Tag 50 bis 100
Begeisterungsstürme, wo dann jedes Mal diese Gießkanne der
Begeisterung im Hirn angeht und wo das alles gedüngt wird.
So, und dann schicken wir die Kinder in die Schule. Da
stimmt doch irgendetwas nicht, wenn dann an dem Ort, wo
eigentlich diese Begeisterung genutzt werden sollte, das
Wichtigste verlorengeht, was die Verankerung dieser neuen
Erfahrung im Hirn erst ermöglicht. Da sind wir mit unserem
Schulsystem offenbar auf einem Irrweg gelandet.
STANDARD: Wie kann Schule in Hinkunft denn gelingen?
Hüther: Es gibt bereits einige dieser anderen Schulen.
Schulen, wo den Schülern etwas geboten wird, was sie
verzaubert. Und das findet eben nicht statt, wenn man
anfängt, Kinder zu unterrichten und ihnen etwas beibringen
zu wollen. Es ist ein großes Missverständnis, zu denken,
indem man dem anderen sagt, wie er's machen soll, könne man
bei ihm im Hirn irgendeine Veränderung auslösen. So geht das
nicht. Das geht nur, wenn der andere sich davon berühren
lässt. Wenn er das toll findet. Dann will er's wissen. Und
wenn er's wissen will, dann lernt er's auch. Es würde auch
reichen, wenn die Kinder nur ein Fünftel der Zeit zur Schule
gingen, wenn in dieser Zeit wirklich etwas passieren würde.
STANDARD: Was sagen denn Noten über einen Schüler aus?
Hüther: Gute Noten haben diejenigen, die sich am besten an
die Systemanforderungen anpassen können. Die machen die
Matura mit 1,0, aber die haben das Entscheidende eigentlich
verloren, nämlich die Leidenschaft. Die geht natürlich weg,
wenn ich etwa in der fünften Klasse als Bub anfange, mich
für Schmetterlinge zu interessieren, aber ich muss das in
mir selbst unterdrücken, weil in der Zeit, in der ich mich
mit den Schmetterlingen befasse, kann ich ja nicht Deutsch
und Mathe machen. So produziert unser Schulsystem auch in
den oberen Bereichen, wo die Besten scheinbar herausgelesen
werden, junge Menschen, die zwar gut funktionie- ren, aber,
böse gesagt: Das sind dann leidenschaftslos gewordene
Pflichterfüller. Und die kann eine Wirtschaft in Österreich
auch nicht mehr gebrauchen.
STANDARD: Stattdessen braucht es Schulen als Orte der
Potenzialentfaltung. Wie geht das?
Hüther: Eine ganze Klasse müsste zu einem Team werden, das
unbedingt wissen will, wie die Fotosynthese funktioniert.
Oder warum Shakespeare Macbeth geschrieben hat. Und dann
ahnen Sie schon, dass die Kinder ungefähr zwei Wochen
brauchen werden, um das alles herauszufinden. Aber das
hätten sie sich alles selbst erarbeitet. Und das würden sie
dann auch nicht wieder vergessen. Von außen kann man das
Wissen dann nicht einflößen, da ist es sogar fast störend,
wenn einer kommt und die Fotosyn these oder Shakespeares
Schreibmotive erläutert. Jede Erklärung, die man Kindern
gibt, hindert sie daran, die Frage zu stellen und es selbst
herauszufinden.
STANDARD: Es hängt an der Person des Lehrers?
Hüther: Die Lehrer tun mir leid. Die sind ja einmal
losgezogen und wollten Unterstützer werden von Kindern bei
Lernprozessen. Wenn die das nur noch mit Mühe aushalten,
dann liegt das eben auch daran, dass sie derzeit kaum eigene
Gestaltungsspielräume haben. Im Grunde genommen geht es den
Lehrern fast so wie den Schülern. Und dann kann es eben sehr
leicht passieren, dass man als Lehrer aufgibt, dass man den
Mut verliert. Dann ist man keiner mehr, der einlädt, dann
ist man einer, der sich nur mehr selbst rettet und versucht,
durchzuhalten, bis die Rente kommt. Das ist natürlich eine
Katastrophe. Es hat ja noch gar keiner unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerechnet, was das
später einmal alles kostet, wenn ein einzelner, mutlos
gewordener Mathematiklehrer es fertigbringt, jedes Jahr
zwanzig Schülern die Lust an Mathe zu versauen. Denn dann
haben die ja meistens nicht nur die Lust an Mathe verloren,
sondern auch an den Naturwissenschaften. Das heißt, da ist
auf einmal etwas kaputtgegangen, was möglicherweise die
gesamte Karriere und Entwicklung eines Kindes belastet. Und
wenn man diese Kosten alle zusammenrechnet, könnte
herauskommen, dass es besser wäre, diesen betreffenden
Lehrer bei vollen Bezügen nach Hause zu schicken, als ihn
noch einen Tag länger diesen Schaden stiften zu lassen.
(Karin Riss, DER STANDARD, 16.4.2012)
GERALD HÜTHER (61)
ist Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen
Klinik der Universität in Göttingen. Das gesamte, auf Video
aufgezeichnete Interview wird auch am 21. und 22. April beim
Bildungsfrühling in Perchtoldsdorf gezeigt.>
*****
15.4.2012: Lernen lernen im Anti-Chaos-Training -
Leseförderung - und den Lerntyp herausfinden
aus: Der Standard online: Trainings: Wenn Kinder Lernen
lernen; 15.4.2012;
http://derstandard.at/1334368979821/Trainings-Wenn-Kinder-Lernen-lernen
<Bettina Fernsebner-Kokert
Lesen will gelernt sein.
Individuelles Anti-Chaos-Training und Leseförderung
werden in Wien-Josefstadt angeboten.
Wien - Kinder, die die Hälfte ihrer Bücher und Hefte nicht
mithaben, die Wasserfarben vergessen und das Turnsackerl
daheim liegen lassen, "brauchen oft Hilfe, damit sie ihre
Siebensachen auch beisammenhaben", sagt Marliese Pick. Pick
ist Direktorin in der AHS Feldgasse in Wien-Josefstadt und
weiß aus langjähriger Erfahrung, dass "Lernen lernen" für
die kleinen Chaoten häufig bereits mit dem
Schultasche-Einpacken beginnt.
Doch auch Schüler, die diese Hürde genommen haben, brauchen
oft Unterstützung, wenn es darum geht, ihren Alltag und die
Vorbereitung für Schularbeiten und Tests zu strukturieren.
Lerntyp herausfinden
Um sich die richtigen Lerntechniken anzueignen, gibt es in
der AHS Feldgasse in der Unterstufe - jeweils in den 2. und
4. Klassen - zweitägige Trainings, bei denen die Kinder
ihren Lerntyp herausfinden können, aber auch, wie man Texte
strukturiert. Eine wichtige Unterstützung sieht Pädagogin
Pick auch in der Leseförderung, die in Wien seit zwei Jahren
angeboten wird: "Ohne Lesen gibt es kein Lernen." In
Gegenständen, in denen offenes Lernen leichter möglich ist,
unterstützt ein Lehrer die Kindern etwa speziell bei Texten
in Geografie.
Wichtig sei auf jeden Fall, dass so weit wie möglich auf die
individuellen Bedürfnisse aller Beteiligten eingegangen
werde, betont Pick - und dass in kleinen Gruppen gearbeitet
werde. So können etwa Vokabelkarteien für ein Kind die beste
Lernmethode sein, während sich ein anderes Geschichten dazu
ausdenkt, um sich die Wörter zu merken - und ein drittes
lernt am besten ganz herkömmlich aus dem Vokabelheft.
Dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Kinder, die
Hilfe beim Lernen lernen brauchen, gestiegen sei, bestätigt
Pick nicht. "Früher ist man von mehr Homogenität
ausgegangen, aber das hat auch schon damals nicht gestimmt."
(Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 16.4.2012)>
*****
24.4.2012: Kinder für 1 Monat an der Macht - ein
Erfahrungsbericht mit leeren Kühlschränken, Geiz und
Bettelgefühl
aus: Welt online: Experiment: Wenn Kinder für einen Monat
die Macht übernehmen; 24.4.2012;
http://www.welt.de/lifestyle/article13711639/Wenn-Kinder-fuer-einen-Monat-die-Macht-uebernehmen.html
<Buchempfehlung: Jochen Metzger
hat über sein Experiment ein Buch geschrieben: "Alle
Macht den Kindern", Patmos Verlag, 16,90 Euro.
Vier lange Wochen hatten statt der Eltern Lara und
Jonny das Sagen in der Familie. Ein Erfahrungsbericht
über leere Kühlschränke, knausrige Mini-Schäubles und
das Gefühl, betteln zu müssen.
Von Jochen Metzger
In meinem
Portemonnaie verlieren sich nur noch ein paar mickrige
Münzen. Ich zähle genau 1,84 Euro – definitiv zu wenig für
eine warme Mahlzeit. "Lara, gibst du mir bitte fünf Euro
fürs Mittagessen?" Meine 13-jährige Tochter schenkt mir
einen strengen Blick.
"Tut mir leid,
Papa. Ich kann nichts dafür, dass du dein ganzes Geld
schon ausgegeben hast." Lara legt eine Kunstpause ein.
"Aber meinetwegen kannst du dir etwas im Garten
dazuverdienen", meint sie gönnerhaft. "Der Rasen müsste
auch dringend mal wieder gemäht werden."
Es gehört nicht
zu meinen Hobbys, bei meinen Kindern um eine
Taschengelderhöhung zu betteln. Doch im Moment bin ich
Teil eines Experiments: Meine Frau Helga und ich haben mit
unseren Kindern die Rollen getauscht. " Die Großen sind die Kleinen, und die
Kleinen sind die Großen " – nach dieser Regel wollen
wir einen Monat lang leben. Wir müssen um Erlaubnis
fragen, wenn wir Freunde besuchen wollen. Wir haben die
Arbeiten zu erledigen, die Lara und Jonny uns auftragen.
Und auch die Familienkasse befindet sich in ihren Händen:
700 Euro in bar. Die EC-Karten werden bei den Nachbarn
gebunkert. Helga und ich bekommen je 40 Euro Taschengeld.
Wir sind finanziell komplett vom guten Willen unserer
Kinder abhängig – Griechenland meets Wolfgang Schäuble.
Was haben die
Augen der Kinder geleuchtet, als wir ihnen das Bündel mit
den Scheinen übergeben haben! Kein Wunder. Lara bekommt
ansonsten zehn Euro Taschengeld pro Monat. Was sie jetzt
erlebt, geht schon fast in Günther-Jauch-Dimensionen: Sie
hält den Netto-Lohn von knapp sechs Jahren "Arbeit" in den
Händen. Viele Erwachsene fühlen sich in solchen
Situationen überfordert. Wie werden die Kinder wohl damit
umgehen?
Als wir später
beim Mittagessen sitzen, hat Jonny schon ein paar
kaufmännische Überlegungen angestellt. "Wir haben je 350
Euro für Lara und mich. Ein bisschen was brauchen wir für
Essen und so. Aber wenn ich noch was von meinem
Taschengeld dazupacke, können wir uns locker 'ne Wii mit
Extra-Controller kaufen."
Erste Zweifel
In diesem
Augenblick beschleichen mich erste Zweifel an unserem
Projekt. Erwarten Helga und ich vielleicht doch zu viel
von den Kindern? Und: Werden wir in ein paar Tagen Wurst
und Käse von den Nachbarn erbetteln müssen?
Doch offenbar
hat Lara einen heilsamen Einfluss auf Jonny. Sie verwaltet
die gesamte Kasse. Die angekündigten Spaß-Käufe bleiben
aus. Stattdessen verhalten sich die Kinder wie
Finanzminister in Zeiten der Krise. Sie haben sich einen
ziemlich cleveren Plan zurechtgelegt: Vier Wochen lang
wird gespart, was das Zeug hält. Erst am letzten Tag des
Versuchs wollen Lara und Jonny die komplette
Restkohle gemeinsam auf den Kopf hauen. Eine
Shopping-Orgie als Belohnung für solides Management.
Was die
Sparpläne der Kinder konkret bedeuten, erleben Helga und
ich bereits nach wenigen Tagen. Lara hat sich Füller und
Collegeblock aus ihrem Schulrucksack geholt und legt die
Stirn in Falten. "Was machst du da, Lara?", frage ich
neugierig. "Ich plane unser Essen. Man muss ja wissen, was
alles da ist. Ich mache jetzt eine Liste mit allen
Vorräten. Die müssen wir erst verbrauchen, bevor wir für
irgendwas Geld ausgeben."
Und wo Lara
schon mal beim Listen-Schreiben ist, erarbeitet sie auch
gleich noch einen Essensplan für die kommenden sieben Tage
– Einkaufszettel inklusive. "Weißt du, Papa", sagt Lara,
"ich mag es gar nicht, wie ihr einkauft. Ihr kauft Sachen,
die wir gar nicht brauchen, und am Ende verdirbt das
schöne Essen. Das finde ich schlimm. Bei mir wird's das
nicht geben."
Und tatsächlich
bleibt es nicht bei dieser Ankündigung: Lara wird einen
Monat lang die genussorientierte Finanzpolitik ihrer
Eltern durch einen Haushalt der Disziplin und der
Sparsamkeit ersetzen.
Eine lehrreiche Erfahrung
Jonny überlässt
derweil sämtliche Planungstätigkeiten seiner großen
Schwester. Wie die Sache unter seiner Leitung ausgesehen
hätte, offenbart sich uns am Wochenende. Jonny hat ein
Tischtennisturnier. Zugegeben: Ich fühle mich ein wenig
schäbig, als ich mit unserem Sohn durch die Stadt fahre.
Unter normalen
Bedingungen hätte ich etwas zu essen und zu trinken für
uns beide eingepackt. So aber habe ich mir sämtliche
Kommentare verkniffen – und die Verantwortung bei Jonny
gelassen, dem Bestimmer. Während des Turniers rettet uns
nur ein zufällig in der Manteltasche vergessener
Fünf-Euro-Schein vor einer Hungerkatastrophe. Unseren
Durst löschen wir aus dem Wasserhahn in der
Herrentoilette.
Insgesamt sind
das sehr lehrreiche Erfahrungen. Das dreizehnjährige Kind
denkt eine komplette Woche weit in die Zukunft. Das
zehnjährige Kind kümmert sich erst ums Essen, wenn es
Hunger hat. Langfristig planen, so lehrt der Schweizer
Entwicklungspsychologe Jean Piaget, können die meisten
erst mit zwölf. Kinder in Jonnys Alter vergessen ihre
Hausaufgaben, ihre Federtasche, ihr Matheheft, ihre
Sportsachen.
Sie packen
nichts zu essen und zu trinken ein, wenn sie auf ein
Tischtennisturnier fahren. Kinder in Laras Alter dagegen
wissen: Nur wenn ich heute Spaghetti kaufe, kann Mama am
kommenden Samstag auch welche für mich kochen. Zwischen
Lara und Jonny verläuft also eine der wichtigsten Grenzen
der menschlichen Entwicklung. "Alle Macht den Kindern" –
das funktioniert definitiv angenehmer, wenn zumindest
eines der Kinder bereits die Grenze zum Erwachsenenalter
überschritten hat.
Wenn die Mutter sich nicht an die
Regeln hält
Allerdings: Man
muss nicht zwölf sein, um zu wissen, wie Führungskräfte
sich verhalten. Ein guter Chef erledigt nur einen Teil der
Arbeit selbst. Den Rest überlässt er seinen Mitarbeitern.
Lara schreibt zwar die Einkaufszettel. Doch den Gang zum
Supermarkt delegiert sie in der Regel an Helga oder mich.
Und genau dabei kommt es irgendwann zum Eklat. Als ich
abends von der Arbeit zurückkehre, ist Lara stinksauer auf
ihre Mutter.
"Was ist
passiert?", frage ich. "Mama hat einfach so Blumen für uns
gekauft. Obwohl ich das gar nicht erlaubt habe! Jetzt
fehlen uns auf einen Schlag 5,25 Euro in der Kasse". Laras
Stimme bebt vor Empörung. "Aber es waren doch Gerbera,
deine Lieblingsblumen!"
Helga versteht
die Welt nicht mehr. Sie wollte unserer Tochter nur eine
Freude machen. "Ja, aber was würdest du sagen, wenn ich
einfach dein Portemonnaie nehmen und Blumen kaufen
würde!", kontert Lara. Ganz klar: Helga hat es gut
gemeint, sich dabei aber nicht an die Regeln gehalten. Die
Enttäuschung darüber vermag keine Blume zu heilen. Nicht
einmal eine Gerbera.
Auch für mich
hält das Experiment einige Härten bereit. Manchmal komme
ich hungrig und abgekämpft von der Arbeit nach Hause und
treffe auf einen geplünderten Kühlschrank. Schön, dass
auch Wasser und trocken Brot satt machen. "Auch mal 'ne
Erfahrung", meint Lara. Von Tag zu Tag finde ich neue
Kollegen, die mir bei der Arbeit einen Teller Nudeln oder
einen Cappuccino ausgeben. Das ist demütigend. Klappt aber
besser als alle Versuche, den Kindern zusätzliche Mittel
aus dem Kreuz zu leiern.
Unangenehm wird
die ganze Geschichte erst in der vierten Woche des
Experiments. Ein guter Teil des Haushaltsgeldes ist
inzwischen für Benzin draufgegangen. Lara und Jonny haben
längst registriert, dass es nichts werden wird mit der
geplanten Shopping-Tour. Die Frage lautet nur noch: Wird
die Kohle reichen oder nicht? "Das ist alles so dooof!",
klagt Lara. "Alle haben was vom Experiment. Nur ich
nicht!"
Freches Verhalten
Jonny ist zwar
auch nicht begeistert von der klammen Kasse. Doch er hat
sich mit ausgedehnten Fernseh- und Computer-Tagen schadlos
gehalten und seiner Mutter für "freches Verhalten" einen
Tag Fernsehverbot aufgebrummt. Lara hingegen ist bis an
die Grenze ihrer Kräfte gegangen. Und manchmal vielleicht
auch darüber hinaus. Schule, Haushalt, Finanzplanung – und
am Ende gibt es für all das keine Belohnung. Als ich vor
meiner weinenden Tochter stehe, überkommt mich das
schlechte Gewissen. Ohne Geld ist alles Mist, so viel
steht schon mal fest.
Wie sind Helga
und ich eigentlich auf die bescheuerte Idee gekommen, den
Kindern nur 700 Euro in die Hand zu drücken? Ganz ehrlich:
Ich weiß es selbst nicht mehr. Beim nächsten Mal – sollte
es das geben – werde ich 300 Euro obendrauf packen. Lara
meint, wir sollten ihr besser unsere EC-Karten samt
Geheimnummern überlassen.
Als ich darüber
nachdenke, stoße ich immer wieder auf dieselbe Frage:
Warum haben die Kinder nicht gleich in der ersten Wochen
das ganze Geld für Spaß ausgegeben? "Irgendwie war das ja
mein Geld", erklärt mir Lara, als ich ihr diese Frage
stelle.
"Ich kann aber
nur euer Geld gut ausgeben. Bei meinem eigenen krieg ich
immer ein schlechtes Gewissen." Vielleicht ist das mit der
EC-Karte doch nicht so verwegen, wie es klingt. Lara und
Jonny waren während unseres Experiments eine
hundertprozentige Schuldenbremse. Und null Prozent
"griechify your life". Man müsste es einfach auf den
Versuch ankommen lassen.>
*****
4.5.2012: <Rainbows-Ferienlager: Urlaub für
Kinder in schwierigen Situationen>
aus: Der Standard online; 4.5.2012;
http://derstandard.at/1334796974616/Rainbows-Ferienlager-Urlaub-fuer-Kinder-in-schwierigen-Situationen
<Für Acht- bis
Zwölfjährige nach Scheidungen oder Tod eines
Angehörigen - Camps in Tirol, Oberösterreich und
Steiermark.
Graz - Unter dem Motto "gestärkt aus dem Sommer" bietet
der steirische Verein Rainbows auch heuer wieder
Feriencamps für Kinder nach Scheidungen oder Trennung
der Eltern an. Erstmals gibt es in diesem Jahr auch eine
Gruppe für Kinder, die den Tod eines nahen Angehörigen
bewältigen müssen. Während einer Woche in der
Steiermark, Tirol oder Oberösterreich können die Kinder
im Alter von acht bis zwölf Jahren Abstand gewinnen und
sich auch mit Gleichaltrigen, die ähnliche Erfahrungen
gemacht haben, austauschen.
"Wenn schon an ihrer Lebenssituation nichts geändert
werden kann, so wird bei den Camps zumindest dem
'Sich-allein-fühlen', das von vielen Kindern sehr stark
erlebt wird, entgegengewirkt", beschreibt
Rainbows-Geschäftsführerin Dagmar Bojdunyk-Rack das Ziel
der Ferienaufenthalte. Die Begegnung mit Kindern, die
sich in ähnlichen familiären Situationen befinden, ist
für die Betroffenen genauso wichtig wie die
Unterstützung durch erfahrene Erwachsene. Durch den
Aufenthalt in den Camps, die eine Woche dauern, soll
auch der Ferienaspekt nicht zu kurz kommen, daher gibt
es ein umfangreiches Sport-, Spiel- und Kreativangebot,
hieß es in einer Aussendung am Freitag.
Gemeinsam Abschied nehmen
In St. Lambrecht in der Steiermark gibt es heuer
erstmals ein Camp, in dem speziell Kinder nach dem Tod
eines nahen Angehörigen betreut werden. Sie sollen dabei
unterstützt werden, Trauer zu verarbeiten. Die Begegnung
mit Gleichaltrigen, die sich in ähnlichen Situationen
befinden, soll besonders dem Gefühl von Isolation und
Anderssein entgegenwirken. Die Beschäftigung mit dem
Verlust, der Trauer und dem Erinnern unterstützt die
Kinder im Abschied nehmen. (APA, 4.5.2012)
Eine Woche im Rainbows-Camp kostet mit
Unterkunft, Vollpension und Betreuung 310 Euro.
Anmeldungen und Informationen bei Rainbows-Österreich,
Theodor-Körner Straße 182, 8010 Graz, Tel:
0316/688670, office@rainbows.at>
*****
22.6.2012: <Musizieren verbessert
Geschicklichkeit> - das Gehirn wächst mit der
Herausforderung
aus: Der Standard online; 22.6.2012;
http://derstandard.at/1339638643046/Neurologie-Musizieren-verbessert-Geschicklichkeit
<Klavierspielen erhöht die motorische
Leistungsfähigkeit in beiden Händen.
Gehirn wächst mit der
Herausforderung - Messbare Umstrukturierung nach zwei
Wochen Klavierspielen.
Prag - Schon zwei Wochen regelmäßiges Klavierüben führt
zu einer messbaren Umstrukturierung der grauen Substanz
im Gehirn, zu verbesserter Zusammenarbeit zwischen den
beiden Gehirnhälften und größerer Geschicklichkeit. Zu
diesem Ergebnis kommen Studien italienischer
Forschergruppen, die zuletzt auf dem Europäischen
Neurologenkongress in Prag vorgestellt wurden. Offenbar
wächst das Gehirn mit der Herausforderung: Je komplexer
die Aufgabe, desto größer die Veränderung.
Testpersonen ohne musikalische Vorerfahrung, die zwei
Wochen lang regelmäßig Geläufigkeitsübungen auf einer
Keyboard-Tastatur absolvieren, sind danach nicht nur
nachweislich geschickter - auch ihre Gehirne haben sich
messbar verändert. Das zeigen Studien des
Universitätshospital San Raffaele (Mailand, Italien).
Beidhändiges Training führt bereits nach derart kurzer
Zeit zu einer ausgeglicheneren Aktivität und besseren
Zusammenarbeit der Gehirnhälften sowie zu einem feineren
Ansprechen der Fingermuskulatur auf Nervenimpulse. Die
musikalischen Impulse führen auch zu strukturellen
Umbauten der grauen Substanz jener Gehirnregionen, die
für die Bewegungskoordination zuständig sind - je
komplexer die Aufgabe, desto mehr.
Eine erst in letzter Zeit eingehender erforschte
Fähigkeit des Gehirns ist es, sich je nach den
gestellten Aufgaben selbsttätig so umzubauen, dass seine
innere Struktur und Organisation den Anforderungen am
besten entspricht. Diese sogenannte „Neuroplastizität"
funktioniert nach klaren Grundsätzen: Gehirnregionen,
die häufig genutzt werden, vernetzen sich selbsttätig
besser, von weniger genutzten werden gleichsam
Ressourcen abgezogen. Die beiden neuen Studien zeigen,
dass die Anforderungen musikalischer Übungen ein
besonders wirksamer Katalysator zur Selbstoptimierung
bestimmter Gehirnleistungen sind.
Durch Klavierspielen zum Gleichgewicht
In der ersten Versuchsanordnung mussten zwölf
musikalisch unerfahrene Probanden innerhalb eines
Zeitraums von zwei Wochen zehn 35-minütige
Übungseinheiten auf einer elektronischen Klaviertastatur
absolvieren. Vor Beginn und nach Abschluss des Trainings
wurden die Bewegungsfunktionen der Hand untersucht sowie
neurophysiologische Tests mit Hilfe eines 32-Kanal-EEG
(Elektroenzephalogramm) sowie durch transkraniale
Magnetstimulation (TMS) durchgeführt. Ergebnis: Alle
Versuchspersonen konnten ihre motorische
Leistungsfähigkeit durch das Training dramatisch
verbessern, wobei vor allem die Angleichung der
Leistungsfähigkeit beider Hände auffiel. „Unsere
Resultate zeigen, dass ein beidhändiges
Bewegungstraining bei Rechtshändern mit einer
signifikanten Verbesserung der Geschicklichkeit der
linken Hand einhergeht", so Elise Houdayer vom San
Raffaele Krankenhaus in Mailand. "Zehn Tage eines
sachkundig gelenkten Bewegungstrainings können offenbar
ausreichen, um Veränderungen der kortikalen Plastizität
auszulösen, was Ergebnissen ähnlich ist, die von
professionellen Musikern berichtet werden."
In der anderen Studie der Abteilung für Neurobildgebung
des San Raffaele Krankenhauses unter Massimo Filippi
wurden insgesamt 45 musikalisch unerfahrene Testpersonen
dazu aufgefordert, mit ihrer rechten Hand auf einer
computer-modifizierten Tastatur eine vorgegebene
Tonfolge zu spielen, wobei sie rhythmisch den Einsätzen
eines Metronoms folgen sollten. Eine Gruppe hörte nur
die Einsätze des Metronoms, die zweite zusätzlich einen
musikalischen Einsatz im gleichen Rhythmus wie das
Metronom und die dritte, als schwierigste Aufgabe, einen
musikalische Einsatz in einem rascheren Rhythmus als das
Metronom. Eine Übungssitzung dauerte 30 Minuten. Alle
Probanden durchliefen innerhalb von zwei Wochen zehn
Sitzungen. Vor Beginn und nach Ende dieses Trainings
absolvierten alle Probanden einen Geschicklichkeitstest
sowie Gehirnuntersuchungen mit modernsten bildgebenden
Verfahren.
Volumenveränderung der Grauen Substanz
In allen drei Gruppen hatte sich die Geschicklichkeit
verbessert. Während kein Einfluss der Klavierübungen auf
die Architektur der „Weißen Substanz" des Gehirns
nachgewiesen werden konnte, zeigten sich jedoch
signifikante Volumenveränderungen der Grauen Substanz in
Gehirnbereichen, die für die Bewegungskoordination
wesentlich sind. In jener Gruppe, die mit einem
rascheren musikalischen Rhythmus als dem vom Metronom
vorgegebenen zurechtkommen musste, veränderte sich das
Volumen der Grauen Masse in noch größerem Ausmaß.
„Musikalische Stimulation während eines
Bewegungstrainings verbessert also die motorische
Leistungsfähigkeit und beeinflusst die strukturale
Plastizität der Grauen Masse, wobei die Komplexität der
Aufgabe auch mit einer ausgeprägteren Veränderung der
Hirnrinde einhergeht, wie sich im funktionellen MRI
zeigt", so Studienleiter Filippi und Präsentatorin Maria
Assunta Rocca. (red, 22.6.2012)>
*****
Deutschland 1.7.2012: <Bildungsbericht: Die
Jungs sind die Verlierer des Bildungssystems> -
Lehrerinnen diskriminieren Buben zum Teil systematisch
aus: Welt online;
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article107616947/Die-Jungs-sind-die-Verlierer-des-Bildungssystems.html
<Alle
reden von Gleichstellung, aber in den Schulen wird für
die Jungen nichts getan. Dabei geraten sie immer mehr
ins Hintertreffen – auch wegen der Lehrerinnen.
Von Birgitta vom Lehn
Bei der
Präsentation des Bildungsberichts 2012 standen die
üblichen Verdächtigen im Mittelpunkt: die Benachteiligten
in Gestalt von Kindern aus Migrantenfamilien und/oder
sozial schwachen Verhältnissen. Aber die größte
benachteiligte Gruppe wurde gar nicht erwähnt: die Jungen.
Dabei haben mehrere Studien in jüngster Vergangenheit
gezeigt: Jungs werden in der Schule oft schlechter
bewertet als Mädchen, bleiben öfters sitzen und machen
seltener das Abitur.
Die letzte
Erhebung dieser Art stammt aus dem vergangenen November,
als Bildungsforscher im Auftrag der Vodafone-Stiftung
kundtaten: Mädchen erhalten im Schnitt bessere Noten als
Jungen (2,58 versus 2,67), obwohl sie in standardisierten
Leistungstests schlechter abschneiden.
Schwerer Weg in die Berufsausbildung
Zwei Jahre zuvor
meldete der Aktionsrat Bildung etwas Ähnliches: Beim
Übergang auf das Gymnasium müssen Jungen eine deutlich
höhere Leistung erbringen als Mädchen. Der Weg in die
Berufsausbildung sei für Jungen erschwert, kritisierte der
damalige Ratsvorsitzende Dieter Lenzen, inzwischen
Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Die einstige
Bildungsbenachteiligung des katholischen Arbeitermädchens
vom Lande ist also abgelöst worden durch die Jungen als
neue Bildungsverlierer. Weil der Schulabschluss aber die
gesamte Erwerbsbiografie beeinflusst, sind junge Männer
auch deutlich häufiger arbeitslos als junge Frauen.
Männer tummeln sich in den unteren
Segmenten
Diese
Entwicklung spiegelt auch der jüngste Bildungsbericht:
Zwischen 2001 und 2010 lag die Zahl männlicher
Erwerbsloser durchgängig über der der Frauen. Und: Die
Mehrzahl der oberen Segmente der Ausbildungsbereiche, für
die eine bessere Vorbildung nötig ist und bei denen
anschließend ein besseres Gehalt winkt (vor allem die
kaufmännischen Berufe), haben Frauen erobert, während sich
Männer in den unteren Segmenten tummeln. Jungen brauchen,
wie der Bildungsbericht auch wieder zeigt, vor allem Unterstützung im
sprachlichen Bereich. Aber wo bleiben die
Sprachförderprogramme, Literatur- oder Theater-AGs
speziell für Jungs?
Der Schulbetrieb
– von der Kita-Landschaft
ganz zu schweigen – ist wie kaum ein zweites Arbeitsfeld
fest in weiblicher Hand. Dass der bundesweite Trend sich
insgesamt sogar noch verstärkt hat, zeigt ein Blick auf
die neuesten Zahlen: Gegenüber 2002 schrumpfte der damals
schon magere Anteil männlicher Grundschullehrer von 27.000
acht Jahre später auf knapp 26.000, während der damals
schon sechsfach höhere weibliche Anteil von 161.000 auf
172.000 kletterte.
Waren die
Grundschulen schon länger in Frauenhand, so galten die
Gymnasien bislang noch als männerlastig. Doch auch dieses
Blatt hat sich gewendet: Gab es vor zehn Jahren noch
79.000 männliche und 76.000 weibliche Lehrkräfte, so
unterrichteten dort 2010 bereits gut 100.000 Lehrerinnen
und nur noch 80.000 Lehrer. Nur an den Berufsschulen
liegen Männer noch vorn, allerdings mit sinkender Tendenz.
Männerschwund in den Kitas
In der
Frühpädagogik zeichnet sich gerade ab, dass die
Akademisierung der Kita-Kräfte zu einem weiteren
Männerschwund führen wird. Erste Ergebnisse einer noch
laufenden Studie am Institut für Hochschulforschung in
Halle zeigen: Der ohnehin schon verschwindend geringe
Männeranteil mit Berufswunsch Erzieher hat sich mit
Einführung entsprechender Studiengänge, die die
Ausbildungsgänge an Fachschulen ersetzen, halbiert.
Der Trend ist
also klar: Insgesamt unterrichteten an Deutschlands
Schulen im Jahr 2010 gut 500.000 weibliche Lehrkräfte –
fast doppelt so viele wie männliche. Vor allem im Osten
ist die Lage extrem: Den bundesweiten Spitzenwert an
weiblichen Lehrkräften von fast 79 Prozent erzielt
Mecklenburg-Vorpommern. Das Saarland kommt mit "nur" 59
Prozent einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis am
nächsten.
Mangel in der Gleichstellungspraxis
Dass sich an
dieser Geschlechterschieflage in naher Zukunft etwas
ändern oder gar eine Männerquote für die Lehrerschaft
gefordert wird, steht zu bezweifeln. Es ist nämlich die
Frage, ob das politisch überhaupt gewollt ist. Denn
vergleichbare Programme wie MINT, die Mädchen in Technik
und Naturwissenschaften locken sollen, fehlen umgekehrt
für Jungs. Dabei hatte bereits die erste Pisa-Studie 2000
Jungenleseförderung als größte bildungspolitische
Herausforderung benannt. Geändert hat sich seitdem so gut
wie nichts.
Das Nachsehen
haben Jungen auch am sogenannten Boys' Day oder
Zukunftstag, dem Analogen zum Girls' Day: Nur rund fünf
bis zehn Prozent der Kitas und Schulen boten in diesem
Jahr für Jungen Plätze an, damit sie sich einen Einblick
in ihre Tätigkeitsbereiche verschaffen könnten. Hätte jede
Bildungseinrichtung auch nur einen Boys'-Day-Platz zur
Verfügung gestellt, hätte es 263.000 Plätze geben können,
hat das Männernetzwerk Manndat e.V. berechnet.
Dass sich viele
Schulen und Kitas ignorant gegenüber Jungen zeigen,
kritisiert das Netzwerk als Mangel in der
Gleichstellungspraxis. Es lasse erkennen, "wie gering die
Motivation der Schulen für Jungenförderung ist". Die
Netzwerker hegen sogar einen bösen Verdacht: "Diversity
Management in Kitas und Schulen ist nicht gewollt.
'Männlich' assoziierte Verhaltensweisen werden in Schule
und Kita abgelehnt."
In den vielen
Anhangtabellen zum jüngsten Bildungsbericht tauchen Jungen
so gut wie gar nicht auf. Wenn nach Geschlechtern
unterschieden wird, benennt man dort explizit meist nur
den weiblichen Anteil. Den männlichen muss man sich im
Kopf dazudenken.
Einsatz von Frauen für Frauen
Die vor einem
Jahr aus dem Amt gedrängte Goslarer
Gleichstellungsbeauftragte Monika Ebeling (SPD) weiß ein
Lied davon zu singen, wie es ist, wenn man sich nicht nur
gegen weibliche, sondern auch gegen männliche
Diskriminierung stemmt. Ihre Parteigenossinnen, aber auch
die Ratsfrauen der CDU und der Grünen haben sie dafür
gehasst und gemobbt. "Gleichstellung" ist hierzulande im
Wesentlichen immer noch Einsatz von Frauen für Frauen.
Das zeigt auch
ein Blick auf die – fast durchweg weibliche – Besetzung
von Stellen in diesem Bereich. In ihrem soeben bei Herder
erschienenen Buch "Die Gleichberechtigungsfalle" zitiert
Ebeling einen Satz aus dem Hamburger SPD-Programm: "Wer
die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche
überwinden." Den Satz empfindet Ebeling als "kränkend",
mit ihm möchte sie – auch als Genossin – "nichts zu tun
haben".
Kita und Schule
sind jene Bereiche, in denen Gesellschaft früh erprobt und
geformt wird. Die zahlreichen Mädchenförderprojekte, die
längst zu höheren Frauenabitur- und -studierquoten geführt
haben, sind dafür das beste Erfolgsbeispiel. Die Jungen
derweil im Regen stehen zu lassen ist jedoch ein Skandal,
den sich gerade ein Land mit Fachkräftemangel nicht
leisten sollte.>
Kommentar
Die Jungs verdummen auch mehr bei Computerspielen als die
Mädchen. Das heisst, die Jungs werden sozial immer mehr
inkompetent, und deswegen setzen sich die Mädchen immer
mehr durch. Natürlich ist das Thema Computer-Verdummung
ein Tabu-Thema, um all die Konzerne nicht zu erschrecken,
die die Männerverdummung anstrengen.
Michael Palomino, 1.7.2012
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19.10.2013: Sportverein in Kindheit und Jugend
ist eine soziale "Konstante", aber provoziert hohen
Alkoholkonsum
aus: n-tv online: Aufwachsen mit SportVereine können weniger bewirken als
gedacht; 19.10.2013;
http://www.n-tv.de/wissen/Vereine-koennen-weniger-bewirken-als-gedacht-article11561371.html
<Von Jana Zeh
Eltern sind sich sicher: Sport im Verein ist
gut für mein Kind. Welche Auswirkungen die aktive
Mitgliedschaft in einem Sportverein auf Heranwachsende
tatsächlich hat, untersuchen Forscher in einer
einzigartigen Langzeitstudie.
Viele Eltern, die ihre Kinder in Sportvereinen anmelden,
sind der festen Überzeugung, dass regelmäßiger Sport in
der Gruppe die Entwicklung ihrer Kinder auf vielen Ebenen
unterstützen kann. Wie sich eine Mitgliedschaft im
Sportverein tatsächlich auf die kindliche Entwicklung
auswirkt, haben Forscher in einer Untersuchung über den
Zeitraum von zehn Jahren untersucht. In der in Deutschland
einmaligen Langzeitstudie von Professor Erin Gerlach von
der Universität Potsdam und Professor Wolf-Dietrich
Brettschneider, ehemals an der Universität Paderborn,
kamen jedoch zwiespältige Ergebnisse zum Vorschein.
Langzeitstudie:
Aufwachsen mit Sport
Für ihre Untersuchung beobachteten die Forscher 1637
Jungen und Mädchen von der dritten Klasse bis zum
Abitur beziehungsweise bis zur Berufsausbildung. Unter
den Kindern waren einige während des gesamten
Untersuchungszeitraumes im Sportverein aktiv, andere
traten erst in einen Verein ein und später wieder aus,
wieder andere waren niemalsMitglied
in einem Sportverein. Die Heranwachsenden wurden mit
Fragebögen in fünf Wellen ausführlich zu ihren
Lebensumständen und zu ihrer Person befragt.
Die in Vereinen Organisierten trieben im Durchschnitt
vier bis sechs Stunden wöchentlich Sport. Die
Ergebnisse der Untersuchung "Aufwachsen mit Sport –
Befunde einer 10-jährigen Längsschnittstudie zwischen
Kindheit und Adoleszenz" ist als Buch veröffentlicht
worden.
Der einen oder anderen Annahme, die landläufig über die
Wirkung einer Mitgliedschaft im Sportverein auf die
Entwicklung von Kindern kursieren, mussten die
Wissenschaftler nach ihrer Untersuchung widersprechen. So
konnten beispielsweise bei den Themen
Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheit und
Gewaltprävention keine nennenswerten Effekte bei den
insgesamt 1637 Befragten erkannt werden. Selbst bei der
Entstehung von Übergewicht konnten nur mäßig positive
Effekte durch eine langjährige Mitgliedschaft im
Sportverein nachgewiesen werden.
Zwiespältig sind die Befunde zum sogenannten
Risikoverhalten, zu dem der Drogenkonsum gehört. So
rauchen Mädchen und Jungen, die im Verein Sport treiben,
weniger als ihre Altersgenossen, die sportlich nicht aktiv
sind. Beim Alkoholkonsum allerdings zeigt sich ein ganz
anderes Bild. Jugendliche, die lange Zeit im Sportverein
sind, trinken häufiger als ihre nicht organisierten
Altersgenossen und auch die Einsteiger in einen
Sportverein erhöhen ihren Alkoholkonsum. "Ob nach dem
Training in der Kneipe oder noch während der Vereinsarbeit
Alkohol konsumiert wird, konnten wir im Rahmen unserer
Untersuchung zwar nicht klären. Fakt ist aber, dass im
Verein Alkohol eine allgemein anerkannte Droge ist und
sogar Jugendliche unter 16 Jahren offenbar von Älteren
damit versorgt werden", sagte Gerlach in einem Gespräch
mit n-tv.de. Dieser Befund sollte Eltern dennoch nicht
davon abhalten, Kinder in einem Sportverein anzumelden.
Vielmehr muss es laut Gerlach darum gehen, dass in den
Vereinen der Umgang mit Alkohol reflektiert und
hinterfragt wird.
Verein als Stütze in Umbruchzeiten
Auch wenn die Mitgliedschaft in einem Sportverein nach
den Ergebnissen der Langzeitstudie nicht alle Erwartungen
erfüllen kann, kann sie sich für die Heranwachsenden
durchaus positiv auswirken. Vor allem in Krisenphasen, wie
im Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe, ist der
Sportverein eine wichtige soziale Ressource mit
Auffangcharakter. Bricht durch einen Schulwechsel
einerseits die sogenannte Peer group weg und werden
andererseits zur gleichen Zeit schulische Leistungen und
das Selbstbewusstsein in Frage gestellt, dann, so konnten
die Wissenschaftler nachweisen, wirkte eine langjährige
Mitgliedschaft im Verein erfolgreich als Puffer.
"Eltern, die glauben, in solchen Übergängen die
Mehrbelastung ihrer Sprösslinge durch die Kündigung der
Mitgliedschaft im Sportverein dämpfen zu können, sind auf
dem Holzweg", betont Gerlach. "In dieser für die
Heranwachsenden schwierigen Zeit ist der Verein die
einzige soziale Konstante, die außerhalb des Elternhauses
bleibt", so Gerlach weiter. Die Wissenschaftler konnten
nachweisen, dass eine solche sozial stützende Wirkung von
der Gruppe weder Eltern noch Lehrer hervorbringen konnten.
Ebenso sollten
Eltern die Festlegung auf eine Sportart im
Nachwuchsleistungssport nicht einfordern, denn sowohl eine
frühzeitige Spezialisierung als auch die frühe Begegnung
mit dem Wettkampfsystem ist für die sportliche Entwicklung
von Kindern wenig förderlich. "Kinder sollten sich erst
einmal ohne Druck ausprobieren dürfen, bevor sie sich für
eine Sportart entscheiden", weiß Gerlach. Druck und zu
hohe Anforderungen dämpfen schnell die Lust an der
Bewegung und führen schließlich zum Austritt/Dropout aus
dem Verein. "Eltern sollten deshalb eher den Ansprüchen
ihrer Kindern folgen, denn im Vordergrund bei jeder
Sportart sollte immer der Spaß stehen, sonst hält man auch
später ein leistungssportliches Engagement nicht auf Dauer
durch", so der Experte.
Quelle: n-tv.de>
*****
18.10.2013:
Schwimmkurse für Kinder je nach Ziel
aus: Spiegel online: Bewegung:So lernen Kinder schwimmen am besten;
18.10.2013;
http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/schwimmkurs-so-lernen-kinder-am-besten-schwimmen-a-927972.html
<Keine Angst vorm Wasser: Soll der Nachwuchs
bis zum nächsten Sommerurlaub schwimmen lernen, ist
jetzt ein guter Zeitpunkt für einen Kurs. 20
Unterrichtsstunden sind nötig, bis das Kind sich sicher
im Wasser bewegen kann - und noch viel mehr Übung.
Der nächste Sommerurlaub am Meer ist vielleicht schon
gebucht, die Luftmatratze wartet im Keller. Damit den
Familienferien im Wasser nichts entgegensteht, ist jetzt
ein guter Zeitpunkt für einen Kinderschwimmkurs. Denn
Sohn oder Tochter brauchen genügend Vorbereitungszeit,
bis sie ohne Angst ins Wasser hüpfen: "Damit ein Kind
sich gut über Wasser halten kann, sollten es mindestens
20 Übungsstunden sein", sagt Henning Lambertz,
Chefbundestrainer beim Deutschen Schwimmverband.
Schnellkurse, die mit nur 10 Übungseinheiten werben,
hält er für bedenklich.
[Kurse je nach Ziel: Brustschwimmen -
Rückenschwimmen, Delfin und Kraulen]
Am besten sollten Kinder zwischen dem vierten und
fünften Geburtstag mit dem Schwimmen beginnen. "Dann
wollen es die meisten auch von selbst lernen", sagte
Lambertz. Bei der Auswahl eines Kurses hätten Eltern
verschiedene Wahlmöglichkeiten: "Geht es erstmal darum,
dass das Kind gut schwimmen lernt und sich über Wasser
halten kann, können Sie einen Kurs aussuchen, der mit
dem Brustschwimmen anfängt." Das sei zwar schwierig,
ermögliche den Kindern aber gleich eine gute
Orientierung. Außerdem gebe es keine Probleme mit dem
Atmen.
Geht es Eltern darum, dass ihr Kind möglichst umfassend
alle Schwimmarten beherrscht, sind andere Kurse gefragt.
"In denen wird meist mit dem Rückenschwimmen begonnen."
Das sei leichter zu lernen, allerdings falle die
Orientierung schwerer, weil man nicht sieht, wohin man
schwimmt. Das Brustschwimmen werde dann erst in einem
zweiten Schritt geübt, später folgen der Delfin- und
Kraulstil.
Gruppen sollten nicht zu groß sein
Wichtig ist auch die Gruppengröße: Eltern sollten
darauf achten, dass ein Trainer nicht mehr als zehn
Kinder betreut. Passende Kurse findet man zum Beispiel,
indem man entweder im Schwimmbad seiner Wahl nachfragt,
sich bei der Stadtverwaltung vor Ort Angebote nennen
lässt oder selbst im Internet auf der Seite von
Schwimmvereinen guckt.
Damit der Nachwuchs tatsächlich im nächsten Sommer ohne
Schwimmflügel im Pool seine Runden dreht, braucht es
neben dem Schwimmkurs aber auch Übung. "Ideal wäre es,
wenn Eltern nach dem Kurs bis zum Urlaub etwa alle zwei
Wochen gemeinsam mit dem Kind ins Schwimmbad gehen", rät
Lambertz. So wird nichts vergessen - und der Spaß am
Wasser bleibt erhalten. Trotzdem gilt: Die Kinder
sollten gerade am Anfang nie aus den Augen verloren
werden.
Jedes Kind sollte allein schon aus Sicherheitsgründen
schwimmen lernen, außerdem fördert die Sportart
Beweglichkeit und Koordination. Generell ist Bewegung
auch bei Kindern ein wichtiges Mittel, um Übergewicht
vorzubeugen. Sonst können schon in jungen Jahren der
Blutdruck und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
steigen.
Julia Kirchner, dpa>
*****
Nürnberg 14.6.2014: Forscherin: Viele Kinder
können nicht mehr von Hand schreiben
aus: Rheinische Post online: Viele Kinder können nicht
mehr mit der Hand schreiben; 14.6.2014;
http://www.rp-online.de/panorama/wissen/bildung/viele-kinder-koennen-nicht-mehr-mit-der-hand-schreiben-aid-1.4311358
<Nürnberg
. Viele Kinder können
heute keine Schleife am Schuh mehr binden oder auf
einem Bein stehen - und auch nicht mehr mit der Hand
schreiben. All das hängt laut einer Forscherin
zusammen.
Ein Großteil der Erstklässler kann heute laut
einer Forscherin nicht mehr richtig mit der Hand
schreiben. Etwa 70 Prozent der Schüler brächten nach dem
Kindergarten nicht mehr die nötigen motorischen
Voraussetzungen für das sogenannte Kritzel-Alphabet mit,
sagte die Nürnberger Bildungsforscherin Stephanie Müller
der Nachrichtenagentur dpa.
Diese zeichnerischen Elemente wie kleine Schleifen,
Schlangen- oder Zickzacklinien seien die Grundlage für
verbundene Schriften mit Buchstaben, die ineinander
übergehen wie bei der Schreibschrift. Die Gründe seien
unter anderem: Zu wenig Bewegung, fehlende
Fingerfertigkeit, keine Eltern als Vorbilder und moderne
Geräte wie Smartphones und Tablet-Computer.
"Die Kindheit heute ist nicht mehr so bewegt", sagt
Müller. Früher habe man viel draußen gespielt, sei
rumgehüpft und auf Bäume geklettert. "Heute können
Kinder in der dritten Klasse nicht mal mehr gerade
rückwärtsgehen oder freihändig auf einem Bein stehen."
Auch Aufgaben, die Fingerfertigkeit erfordern, wie etwa
einen Faden einfädeln oder eine Schleife am Schuh
binden, seien meist nicht mehr nötig durch
Klettverschlüsse und Druckknöpfe. Grob- und Feinmotorik
prägten sich dadurch nicht mehr gut aus.
Außerdem hätten viele Eltern keine Zeit mehr, sich um
die Schreibfähigkeit ihrer Kinder zu kümmern. "Es achtet
niemand mehr darauf, dass ein Kind Schreiben übt." Die
Kinder würden ihre Eltern auch nicht mehr Schreiben
sehen. Zudem seien bei Smartphones und Tabletcomputern
ganz andere Handbewegungen und Muskeln nötig als beim
Halten eines Stiftes. "Dafür braucht man nur den
Zeigefinger oder beide Daumen zum Tippen, oder das
Handgelenk, wenn man über das Pad wischt."
Die 46-jährige Kunst- und Medienpädagogin plädiert
dafür, schon in der Lehrerausbildung mehr Wert auf das
Schreiben-Lehren zu legen. "Die meisten Lehrer sind
hilflos. Sie wissen nicht, wie man den Kindern das
Schreiben beibringt." Und sie hätten wegen des vielen
Unterrichtsstoffs in den höheren Klassen auch gar keine
Zeit dafür.
"Seit zwei Jahren kommen selbst im Lehrer-Seminar junge
Anwärter zu mir, die nicht mehr schreiben können. Und
wenn schon die Lehrerin den Stift falsch hält, wie soll
es dann der Schüler lernen?", sagt die gelernte
Grundschullehrerin.
Zwischen Kita und Grundschule sei daher ein Jahr nötig,
in dem die Kinder die Grundfähigkeiten für das Schreiben
lernen, sagt Müller. Früher habe man im Kindergarten
gespielt, gemalt und gekritzelt und in der ersten Klasse
monatelang nur Schwungübungen gemacht, bevor es richtig
ans Schreiben ging. Das falle heute aus. "Wenn die
Kinder mit sechs Jahren schulreif sind, sollte die
Motorik entwickelt sein, das ist sie aber heute nicht."
In vielen Schulen werde mittlerweile nur noch die
Druckschrift-ähnliche Grundschrift oder die vereinfachte
Ausgangsschrift gelehrt und nicht mehr die lateinische,
bei der alle Buchstaben verbunden sind. Müller nennt
jedoch mehrere Vorteile der Schreibschrift: "Es ist
bewiesen, dass eine verbundene Handschrift mit
Richtungsänderungen einen höheren Lerneffekt hat als die
Druckschrift." Mit einer verbundenen Schrift könne man
zudem viel schneller schreiben, als wenn man - wie bei
der Druckschrift - jeden Buchstaben neu ansetzen müsse.
Die Bewegungsabläufe einer komplexen Schreibschrift
müssten automatisiert werden. Erst daraus könne sich
dann im Lauf des Lebens auch eine persönliche
Handschrift entwickeln, nur eine Druckschrift zu können,
reiche dafür nicht. "Wenn ich nur marschieren gelernt
habe, werde ich nicht Salsa tanzen können", sagt Müller.
Zudem habe eine schöne Handschrift auch etwas mit
Wertigkeit zu tun - etwa eine handgeschriebene
Geburtstagskarte statt einer SMS.