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Autoren der Psychoanalyse:
Calvin S. Hall (Calvin Springer Hall, 1909-1985)


Umfassende Psychoanalyse mit Berücksichtigung von Randfaktoren - Halls neue Traumregeln

von Michael Palomino (2006)

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aus:
-- Ann Faraday: Positive Kraft der Träume, Gondrom-Verlag, Bindlach 1996; orig.: Dream Power, Afar Publishers AG 1972
-- http://dreamresearch.net: http://psych.ucsc.edu/dreams/About/calvin.html (G.William Domhoff, domhoff@ucsc.edu), Details über Calvin S. Hall im Lexikon der American National Biography, Oxford University Press 1999, Verfasser: John Garraty und Mark Carnes


Calvin Springer Hall (meist auch einfach Calvin Hall) Tiefenpsychologe und Traumwissenschaftler, wurde am 18. Januar 1909 als Sohn des gleichnamigen Bundesrichters Calvin S. Hall in Seattle (Washington State) geboren und verstarb am 4. April 1985 in Santa Cruz (Kalifornien) (Domhoff).

Lebenslauf / Biographie

Studium in Washington und an der Berkeley Universität - Verhaltensforschung an Ratten

Hall absolvierte seine Studien in Psychologie zuerst in Washington beim bekannten Verhaltensforscher Edwin Guthrie. Da er in Washington einen ROTC-Pflichtkurs verweigerte, war er gezwungen, an die Berkeley Universität nach Kalifornien zu wechseln, wo er beim Verhaltensforscher Edward Tolman 1930 seinen ersten Abschluss machte. Nach weiteren drei Studienjahren bei Tolman und Robert Tryon gelang 1933 der Abschluss mit Ph.D. (Domhoff).

Bis dahin hatte Hall sich vor allem mit Verhaltensexperimenten an Ratten beschäftigt. Es gelang ihm zu beweisen, dass bei gleichem genetischen Ausgangsmaterial verschiedene Umstände zu verschiedenen Verhaltensgewohnheiten und Lernfähigkeiten führen konnten (Domhoff).


Halls Studien in Psychologie und Traumdeutung: Neue Kriterien - empirische Studien - Volksbücher

Hall war 1935 bis 1975 einer der kreativsten Psychologen der "USA". Sein massgebliches Lebenswerk galt ab den 1940-er Jahren der Traumdeutung, die er von der Klinik in eine normale, häusliche Atmosphäre brachte, da er erkannte, dass die Menschen zu Hause ganz andere Träume hatten als in der Klinik oder in einem "Schlaflabor". Hall begann mit Träumen von Studentenkollegen und hatte am Ende seines Lebens über 50'000 Traumberichte zusammengestellt (Domhoff).

Hall bestreitet, dass Träume aus Kliniken oder Sprechzimmern überhaupt verwendbar sind und legt seit den 1940-er Jahren eine Sammlung von Träumen "normaler Leute" an (Faraday, S.125).

Hall führt in der Traumforschung neue Kriterien ein:

-- der Ort ist wichtig, wo die träumende Person geträumt hat
-- Figuren, die im realen Leben der träumenden Person vorkommen, Gefühle und Handlungen der träumenden Person im realen Leben werden mitberücksichtigt
-- Alter, Geschlecht und Beruf der träumenden Person werden mitberücksichtigt (Faraday, S.125).

Hall ist der erste, der wirklich publiziert, was die Menschen im normalen Leben wirklich träumen, mit 10'000 Träumen von Durchschnittspersonen (Faraday, S.125).

Halls empirische Studien zeigen auf, dass die Träume der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf der Welt sich eher ähneln als unterscheiden, abgesehen von Variationen, die sich aus kulturellen Unterschieden ergeben. Gleichzeitig fand er bei der Häufigkeit der Traumelemente grosse individuelle Unterschiede. Diese Unterschiede hängen mit Umständen des täglichen Lebens, mit der emotionalen Beschäftigung und Interessen zusammen. Hall schlug vor, diesen Faktor als "Bindeglied" (engl.: "continuity") zwischen Trauminhalt und Gedanken im Wachzustand zu bezeichnen (Domhoff).

Seine Arbeit mit Traumdeutungen, die er mehrere Jahre lang führte, oder die von ein paar anderen Personen sogar über Jahrzehnte geführt wurden, zeigte eine erstaunliche Beständigkeit, was die Trauminhalte betrifft, auch wenn unbestritten einige Wechsel im realen Leben der träumenden Personen stattfanden (Domhoff).

Halls theoretischen, methodischen und empirischen Studien über Träume ausserhalb der Kliniken waren weltweit massgebend. Auf der Grundlage seiner empirischen Traumstudien entwickelte Hall eine Traumtheorie mit folgenden Hauptpunkten:
-- Träume drücken "Konzeptionen" des Selbst aus, über Familienmitglieder, über den Freundeskreis, und über die soziale Umgebung aus. 
-- Träume decken Zustände auf über Schwächen, Durchsetzungsfähigkeit, Nicht-geliebt-Sein, Dominanz, und Feindseligkeit 
-- Hall entdeckt auch eine Theorie der gleichnishaften Traumsymbolik, die sowohl in der Durchschnittsgesellschaft wie in der Dichtung vorkommt (Domhoff).

Zusätzlich zu seinen vielen wissenschaftlichen Traumpublikationen schrieb Hall zwei Volksbücher,  "Traumdeutungen" (orig.: Meaning of Dreams, 1953) und "Das Individuum und seine Träume" (orig.: The Individual and His Dreams, 1972). Beide wurden Bestseller und erweiterten in breiten Schichten das Traumbewusstsein (Domhoff).

Die Traumstatistiken von Calvin Hall

-- als Traumorte überwiegen Haus, Wagen, Strasse, Laden, weniger Arbeitsplatz, Büro oder Fabrik

-- erholsame und kreative Standorte sind in den Träumen häufiger als Arbeit und Mühe

-- als Emotionen in den Träumen überwiegen Besorgnis, Zorn, Traurigkeit (Faraday, S.125), freundliche Betätigungen und glückliche Gefühle sind seltener (Faraday, S.126)

 -- die Traumfiguren sind meist nahestehende Personen, öffentliche Personen sind selten, und die Träume befassen sich nur selten mit öffentlichen Angelegenheiten (Faraday, S.126)

-- Trauminhalte sind normalerweise die träumende Person selbst, die Konflikte und Ängste der träumenden Person, Selbstreflexion und die Aussicht auf die Zukunft, oder nahestehende Personen (Faraday, S.126)

-- Kindheitstraumata können sich gelegentlich in Träumen widerspiegeln [und nur in diesen Fällen hat Freud recht, wenn er sagt, ein Traum führe in die Kindheit zurück].

-- an den Rollen im Traum kann die träumende Person abschätzen, wie sich der Träumer selbst sieht: Opfer, Angreifer, stark, schwach, feige oder tapfer. Wie die träumende Person die anderen sieht, ist auch an den Rollen ablesbar, z.B. strengen Vater als Polizist im Traum (Faraday, S.126)

-- fremde oder öffentliche Personen im Traum sind fast immer Personifikationen von Eigenschaften von gewissen Leuten (Faraday, S.126), z.B. die Mutter als Königin oder Hexe im Traum (Faraday, S.127)

-- die Szenerie ist gemäss den Gefühlen der träumenden Person gestaltet (Faraday, S.127).

Insgesamt erkennt Calvin Hall, dass in den Träumen intimste und persönlichste Gedanken umgesetzt sind, in erschreckender und zugleich aufschlussreicher Weise. Träume decken auf und tarnen nicht. Freuds Theorie, der Traum sei eine Tarnung, ist falsch (Faraday, S.127).

Traumdeutung gemäss Calvin Hall

Traumbilder geben gemäss Hall auf wenig Raum in wenig Zeit eine Unmenge an Informationen [wie bei einer Kunstbetrachtung] (Faraday, S.128):

-- viele Träume kann man sofort beim Aufwachen selber deuten

-- die Umgangssprache ist im Traum dieselbe wie im "normalen Leben" (Faraday, S.127)

-- die Träume sind mitnichten entstellt, sondern die Symbolik ist sehr präzis (Faraday, S.127) und entspricht der Umgangssprache der träumenden Person (Faraday, S.128)

-- Träume können direkt oder symbolisch sein. Faraday vermutet, dass die Schlaftiefe dabei eine Rolle spielt (Faraday, S.128)

-- Calvin Hall fragt sich nach dem Charakter der Symbole und dem Charakter der träumenden Person, z.B. kommen aggressive Penissymbole (Revolver) bei aggressiven Personen vor, lebensspendende Penissymbole (Quelle) kommen bei netteren Personen vor (Faraday, S.128).

Calvin Hall: 4 Grundregeln zur Traumdeutung

Gemäss Calvin Hall kann jeder mit ein paar einfachen Regeln Träume selber deuten:

1. Traumbilder zeigen der träumenden Person, wie sie die Welt sieht, wie die Dinge der träumenden Person erscheinen.

 2. Alle Traumszenen stammen von den Strukturen der träumenden Person selber und beziehen sich auf ihn.

3. Die träumende Person hat mehrere Vorstellungen von der Welt, und die Träume zeigen alle Vorstellungen auf, nicht nur eine.

4. Träume sollen in Serien gedeutet werden und nicht für sich alleine. Ein Traum kann einen anderen komplexen Traum erklären. Dieser Meinung war schon C.G. Jung (Faraday, S.129).

Für "psychisch Gestörte" gelten die Regeln nicht. Sie sollen in "fachmännische Behandlung" (Faraday, S.129).

[Dabei fragt es sich aber, wer da "gestört" ist, das Opfer oder das kapitalistisch-gierige System: Das System ist "gestört"].

Hall definiert 5 Grundkonflikte

Hall definiert 5 Grundkonflikte, mit denen sich jeder Mensch befasst:

1. Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit
2. Konflikt zwischen Recht und Unrecht
3. Konflikt zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit
4. Konflikt zwischen Leben und Tod
5. Konflikt zwischen Liebe und Hass in der Eltern-Kind-Beziehung (Faraday, S.135).

Lehrtätigkeit an Universitäten und Weiterbildung: Schlaflabor-Studien und neues Code-System mit Robert Van de Castle

Die meiste Zeit seiner Lehrzeit verbrachte Hall an
der Western Reserve University (Cleveland, Ohio), daneben auch an der Syracuse University (1957-59), an der Universität von Miami (1959-60), und an der Katholischen Universität von Nijmegen (Holland), als ein Schüler von Fulbright (1960-61) (Domhoff).

Von 1961 bis 1965 studierte Hall am Traumforschungsinstitut in Miami die Träume aus Schlaflabors mit der Feststellung, dass sich die Träume in der Nacht inhaltsmässig glichen. In dieser Zeit revolutionierten Hall
und Robert van de Castle die objektiven Studien über Trauminhalte mit ihrem umfassenden neuen Code-System (Domhoff).

1966 liess sich Hall in Santa Cruz (Kalifornien) in einen Halbruhestand versetzen, führte gleichzeitig seine Traumforschung weiter und hielt von Zeit zu Zeit an der örtlichen Universität Seminare ab. Er war Co-Autor der Bücher über die Träume von Franz Kafka und eines Kinderschänders. Er verfolgte weiterhin seine Liebe zur grossen Literatur, zur klassischen Musik und zur Oper, machte täglich Spaziergänge und Fahrradfahrten dem Meer entlang, und pflegte seinen Blumengarten. Seine Frau, Irene Hannah Sanborn, die er 1932 geheiratet hatte und von der er ab 1959 getrennt lebte, starb vor ihm. Er hatte einen Sohn, Dovre Hall Busch (Domhoff).

Das Werk von Calvin S. Hall ist Basis für die Zukunft

Insgesamt gesehen war Hall neben C.G. Jung Vorreiter in der erkenntnismässigen, individuellen Psychologie. Halls Werk über genetische Verhaltensforschung ist heute nur eine  Fussnote in der Wissenschaft, aber seine Traumforschung wird noch lange wegweisend sein (Domhoff).



Literatur
Calvin S. Hall: Handbuch der experimentellen Psychologie (orig.: Handbook of Experimental Psychology, 1951) 
Calvin S. Hall: Traumdeutungen (orig.: Meaning of Dreams, 1953, Volksbuch) 
Calvin S. Hall: Handbuch über die freudianische Psychologie (orig.: A Primer of Freudian Psychology, 1954) 
Calvin S. Hall: Theorien zur Persönlichkeit (orig.: Theories of Personality, 1957) 
Calvin S. Hall und Robert Van de Castle: Traumanalyse (orig.: The Content Analysis of Dreams, 1966) 
Calvin S. Hall: Das Individuum und seine Träume (orig.: The Individual and His Dreams, 1972, Volksbuch). 
Calvin S. Hall: Handbuch der jungianischen Psychologie (orig.: A Primer of Jungian Psychology, 1973) 


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