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Individuationsträume über die Mitte in sich selbst

von Michael Palomino (2006)

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aus: Ernst Aeppli: Der Traum und seine Bedeutung. Eugen Rentsch-Verlag, Zürich 1943; Taschenbuchausgabe: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1984



Das Selbst - sich selbst kennenlernen

Diese Träume sind entscheidend, die Mitte in sich selbst zu finden, den Ruhepol und die "Ganzheit" zu finden.

Menschen, die ihr Wesen spüren, wollen wissen, wie sie wirklich sind, wollen die Mitte erkennen, aus ihrer Mitte heraus leben. Sie wollen die gestaltende Kraft kennen, die im Ich ist. Sie wollen das Selbst kennenlernen, das von Gott gelenkt wird. Die Träume sprechen dann von der Mitte, vom Selbst, in Gleichnissen. So gestaltet sich die Selbstbegegnung (Aeppli, S.108).

Zuerst lernt die träumende Person alle Kräfte der Seele kennen, mit symbolischen Gestalten, eine Serie von Träumen. Der geschulte Traumdeuter muss bei der Deutung helfen, um die inneren Gestalten zu erkennen. Zuerst sind es gleichgeschlechtliche Traumfiguren meist minderwertigen Charakters (Aeppli, S.108).

Dann treten die Kräfte von Animus und Anima in den Träumen auf, im jeweils anderen Geschlecht, bei Männern als Anima, bei Frauen als Animus, beim Mann meist nur eine Anima pro Traum, bei der Frau auch mehrere Animusse pro Traum. die Figur des Weisen ist eher selten, die grosse Erdmutter häufiger (Aeppli, S.109).

Bei Frauen tritt dann im Traum auch der Vater wieder auf, wenn die Frau ohne Mann ist, verwitwet oder in unglücklicher Ehe ist. Eventuell erscheint der Vater im Traum als Arzt, als älterer Mann, der sicher im Leben steht und körperlich und geistig auf der Höhe ist. Am Ende wird das väterliche Element integriert und so die Einheit gewonnen (Aeppli, S.209).

Individuation: Die Wanderung zur Mitte

Dann kommt das Bild der grossen Wanderung. Die Symbole haben keinen Zusammenhang mehr zum irdischen Leben. Es sind selbständige Gleichnisse der inneren Entwicklung, wobei die "Mitte" immer sichtbarer wird, z.B. als umschlossener Garten, als Lebensbaum, oder als Quelle, die in alle vier Richtungen strömt (Aeppli, S.109), als Blüte, als Turm, Burg, als "himmlische Stadt", als Insel mit Schloss drauf, wie eine Insel, die aus dem kollektiven Unbewussten aufsteigt (Aeppli, S.110).

Der Weg zur Mitte ist jeweils gefährlich dargestellt (Aeppli, S.110). Dichterisch ausgedrückt ist es eine Heimkehr durch die "Unterwelt", die vielfach beschrieben und vertont wurde (Aeppli, S.110).

Aeppli warnt:

 "Die Pforte ist eng, die in die Mitte der Seele führt; nicht alle erreichen diesen ihren innersten Ort." (Aeppli, S.110)

Es kann sein, dass man im Traum z.B. durch ein Meer schwimmen muss, um eine Insel zu erreichen, die diese "Mitte" in einem selber darstellt (Aeppli, S.110-111).


Junge Männer in der Auseinandersetzung mit dem Vater

Junge Männer träumen von der Auseinandersetzung mit dem Vater und können dadurch tiefe Einsichten in das Wesen der Welt gewinnen, können dadurch tiefe Kulturzusammenhänge erkennen (Aeppli, S.209).

Wenn sich die Lebensprinzipien von Vater und Sohn im Alter von ca. 40 versöhnen, kommt im Sohn ein inneres Glücksgefühl auf (Aeppli, S.209).

Träume von Kindern gegen Selbsterkenntnisse

Träume von den eigenen Kindern können Warnträume sein. Häufiger ist damit aber das innere Kind gemeint (Aeppli, S.210).

Wenn Väter von ihren jungen Söhnen träumen, bedeutet dies, dass sie von dem träumen, was in ihnen selbst noch jung ist. Man sieht im Traum zwei Buben, der eine der Sohn, der andere steht für den Vater (Aeppli, S.210).

Geschwister in Träumen

Die Geschwister können im Traum auftreten
-- als wirkliche Geschwister, dann wäre die Beziehung zu überprüfen (Aeppli, S.210)
-- als projizierte Partner, dann wäre die Partner-Beziehung zu überprüfen (Aeppli, S.210-211).

Bei Männern taucht der Bruder oft als Schatten auf und gibt ergänzende Hinweise, was der Träumer auch noch sei. Dasselbe geschieht zwischen Schwestern, wenn die Schwester im Traum auftaucht, als Hinweis, was die Schwester auch noch sei (Aeppli, S.211).

Individuationstraum in Richtung Mitte der Seele: Um das Schloss zu erreichen, muss man ein Meer  durchschwimmen

Vorkommnis

Traumbild

Deutung

ein Mann ca. 40-50 Jahre alt

Der Mann sieht im Traum, wie er mit einem einstigen Schulfreund zu einem Schloss hinaufwandert. Plötzlich dehnt sich unter ihnen ein Meer aus. Die einzige Treppe zum Schloss liegt auf der anderen Seite des Hügels, und der Weg ist abgeschnitten. Der Schulfreund schwimmt voraus, der Mann nur mit Mühe hinterher. Er muss seine Sporen, die ihm von den Stiefeln abfallen, mit den Händen halten (S.110). Als der Mann die Treppe erreicht, ist der Schulfreund verschwunden und der Mann so nass wie neu geboren (Aeppli, S.111).

Der Berg mit dem Schloss symbolisiert Mitte der Seele (Aeppli, S.110-1111). [Das Meer symbolisiert die Gefahr des Unterbewussten, ausserdem neues Fruchtwasser für eine neue Geburt].

 

Individuationstraum in Richtung Mitte der Seele: Die Anima übernimmt die Lenkung des Wagens

Vorkommnis:  ein Mann, Arzt, 40-50 Jahre alt.

Traumbild

Der Mann sieht im Traum, wie er am frühen Nachmittag in einer Art griechischen Rennwagen sitzt. Er fährt die grosse Strasse hinunter, der Klinik zu, an der er Arzt ist. Plötzlich steht auf der kleinen Plattform seines Wagens ein herrlich schönes Mädchen, nimmt die Zügel der beiden Pferde entschlossen auf und führt das Gefährt. Der Wagen fährt sehr schnell und hat nun die Kurve um die Klinik zu nehmen. Der Träumer macht die Lenkerin darauf aufmerksam, dass der Wagen stürzen könnte. Sie beugt das Haupt zurück und lacht ihn strahlend an "Es ist schon gut!" So gelangen sie in herrlicher Fahrt auf den Hauptplatz der Stadt (Aeppli, S.149).

Deutung

Die Frau ist die Anima des Mannes, die die Führung seines Lebens übernimmt. Die Kurve ist der Test, ob der Mann seiner Anima Vertrauen schenkt. Die Ankunft auf dem Hauptplatz der Stadt symbolisiert die Ankunft im inneren Zentrum, im Selbst, in der "Mitte".

Die Traumstruktur:
1. Einleitung: Der Mann fährt im Wagen.
2. Szene mit besonderer Entwicklung: Die Anima tritt hinzu.
3. Höhepunkt: Gespräch um die gefährliche Kurve.
4. Lösung der Dramatik: Fahrt zum Hauptplatz der Stadt.
5. Schlussakt: Ankunft in der Mitte der Stadt (Aeppli, S.149).


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