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Schulden machen krank

Meldungen

präsentiert von Michael Palomino

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n-tv
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Schulden machen psychisch und körperlich krank - Schuldner verzichten auf Arztbesuche

aus: n-tv online: Risikofaktor Geld: Schulden machen krank; 28.2.2008; http://www.n-tv.de/926103.html?280220081229

<Überschuldete Menschen sind laut einer Studie von Mainzer Forschern häufiger krank als die durchschnittliche Bevölkerung. Sie gingen gleichzeitig aus Kostengründen seltener zum Arzt, sagte Prof. Eva Münster vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität. Acht von zehn Schuldnern litten an mindestens einer Krankheit, darunter vor allem an psychischen Problemen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen. 60 Prozent der Befragten hätten nach eigener Aussage wegen der Praxisgebühr Arztbesuche unterlassen.

Zwei- bis dreifaches Krankheitsrisiko

"Im Vergleich zur nicht überschuldeten Bevölkerung stellen wir ein zwei- bis dreifach größeres Risiko fest, an bestimmten Krankheiten zu leiden. Das ist eklatant", sagte Münster. Aus früheren Untersuchungen sei bekannt, dass sich soziale Faktoren wie Armut oder eine niedrige Schulbildung schlecht auf die Gesundheit auswirken, heißt es in der Studie. Die Gruppe der überschuldeten Menschen sei nun erstmals explizit befragt worden. Ausgewertet wurden rund 660 anonym ausgefüllte Fragebögen, die in den 53 rheinland-pfälzischen Schuldnerberatungsstellen verteilt worden waren.

Nach den Worten von Münster scheinen zwei Mechanismen zu wirken: "Überschuldung macht krank" und "Krankheit führt zu Überschuldung" - etwa wenn jemand wegen gesundheitlicher Probleme den Job verliert. "Eine zusätzliche Belastung ist, dass sich bei etwa der Hälfte der Überschuldeten Freunde oder Familie aufgrund der finanziellen Notlage zurückziehen", sagte die Professorin.

Versorgung für Schuldner muss verbessert werden

Die Zahl der Privatinsolvenzen sei in den vergangenen Jahren in alarmierender Weise angestiegen, sagte Prof. Curt Wolfgang Hergenröder, Wissenschaftlicher Leiter des Schuldnerfachberatungszentrums in Rheinland-Pfalz. Rund 2,9 Millionen Haushalte in Deutschland seien 2006 überschuldet gewesen, dies sind rund 7,3 Prozent.

Die Wissenschaftler fordern, die medizinische Versorgung für Schuldner zu verbessern. Die Mitarbeiter in den Beratungsstellen könnten etwa speziell geschult werden, Krankheitsanzeichen zu erkennen und Betroffene an Mediziner und Psychologen zu verweisen, wo sie kostenlos behandelt würden. Zuzahlungen beim Arztbesuch oder für Medikamente müssten ohne bürokratischen Aufwand entfallen.>

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Spiegel online,
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9.10.2011: Schulden machen krank - und gesellschaftlich impotent

aus: Spiegel online: Tabuthema Insolvenz: Schulden machen schamhaft; 9.10.2011;
http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,786368,00.html

<Von Katharina Pauli

Pleite: Scheitern ist eines der großen Tabus unserer Gesellschaft

Hamburg - Der Bankautomat rattert und wirft Scheine aus. Eigentlich nichts Besonderes. Doch Anna W. kann kaum glauben, dass sie wieder Geld hat. Bis vor kurzem hatte die Rentnerin überhaupt kein Konto, musste sogar eine Woche lang von 20 Euro leben. Und stand plötzlich ohne Wohnung auf der Straße - zwei Wochen vor Weihnachten. "Es war die Hölle", sagt die Frau heute.

Anna W. war pleite - wie rund 140.000 andere Menschen in Deutschland. Seit der Wirtschaftskrise ist die Zahl der Privatinsolvenzen auf Rekordniveau. Die Hamburger Wirtschaftsauskunft Bürgel prognostiziert, dass die Zahlen auch 2011 trotz sinkender Arbeitslosenzahlen ähnlich hoch bleiben werden. "Neu ist aber, dass zunehmend ältere Bundesbürger in finanzielle Bedrängnis geraten", heißt es in dem Bericht - passend zur Debatte um Altersarmut und niedrige Renten. Die häufigsten Gründe für die Schulden: Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, gescheiterte Selbständigkeit, Trennung vom Partner.

Anna W. ist raus aus den Schulden und will ihre Erfahrungen teilen - bei den "Anonymen Insolvenzlern", einer Selbsthilfegruppe für zahlungsunfähige Menschen. Mit dem, was im Privatfernsehen bei Sendungen wie "Raus aus den Schulden" gezeigt wird, hat das nichts zu tun: Rund um einen nüchternen Konferenztisch, in einem großen Bürokomplex im Hamburger Norden, sitzen die Privatinsolvenzler - rund 15 Männer und Frauen jeden Alters. Keiner muss seinen Namen nennen oder wird vorgeführt wie im TV, Verschwiegenheit ist garantiert - nur so lässt sich offen sprechen. Alle verbindet das Schicksal, von der Gesellschaft aufs Abstellgleis gedrückt zu werden.

"Wir sind doch keine Verbrecher"

2007 gründete Attila von Unruh den ersten Gesprächskreis in Köln. Das Format ist einmalig und gefragt, mittlerweile gibt es zehn Selbsthilfegruppen der "Anonymen Insolvenzler" in Deutschland und Österreich. Gründer Unruh war selbst Betroffener: Ein Teilhaber seiner Eventmarketing-Agentur ging pleite, und Unruh musste finanziell dafür mit seinem Privatvermögen geradestehen. "Viele Betroffene fühlen sich schuldig und ziehen sich zurück", sagt Unruh. "Da versuchen wir einzugreifen". Das Gefühl, versagt zu haben, begleitet die Mittellosen.

Scheitern ist eines der letzten großen Tabus in Deutschland. Um der Kritik ihrer Mitmenschen auszuweichen, bauen sich viele der Insolvenzler ein Doppelleben auf. Sie erfinden Ausreden, um nicht zugeben zu müssen, dass sie kein Geld fürs Kino oder Restaurant haben.

Doch auf Dauer klappt die Taktik nicht: In der Anonymität der Gruppe erzählen die Betroffenen von der Einsamkeit. Davon, wie es ist, Freunde zu verlieren. "Wir sind doch keine Verbrecher, werden aber so behandelt", sagt eine Teilnehmerin.

Denn viele Mitglieder der Selbsthilfegruppe sind indirekt in die Insolvenz geraten - durch windige Geschäftspartner, Krankheit oder schlechte Zahlungsmoral von Kunden. Die meisten von ihnen waren selbstständig, hatten ein gut laufendes Geschäft, bis dann plötzlich etwas schief lief. Mit den Protagonisten aus dem Privatfernsehen, die mit ihrem Geld nicht umgehen können, haben sie nichts zu tun.

Entschuldung im Ausland

Sechs Jahre dauert die Entschuldungsphase in Deutschland. Eine lange Zeit, in der die Insolvenzler besonders sparsam leben und so viele Schulden wie möglich abstottern müssen - die sogenannte Wohlverhaltensperiode. Gelingt es ihnen, folgt die Restschuldbefreiung. Danach kommen noch mal drei Jahre mit negativem Schufa-Eintrag. Das macht es den Betroffenen schwer, wieder durchzustarten. Attila von Unruh kritisiert die lange Wohlverhaltensperiode: "Dadurch geht der Wirtschaft ein riesiges Potential verloren."

Unruh setzt sich für eine Halbierung der Laufzeit von sechs auf drei Jahre ein, die auch von der Bundesregierung diskutiert wird. "So kämen die Leute schneller wieder zurück in die Wirtschaft und damit ins soziale Leben."

Davon hält der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen wenig: "Das könnte die Leute dazu animieren, mehr Schulden zu machen", sagt Verbandssprecher Marco Weber. Denn es sei meist so, dass in der letzten Hälfte der sechs Jahre der Großteil der Schulden zurückgezahlt werde. Halbiere sich die Zeit, müssten die Gläubiger noch mehr Forderungen abschreiben.

Dass es auch andere Möglichkeit gibt, wieder solvent zu werden, weiß Karl-Heinz H. dank der Selbsthilfegruppe: Der überschuldete Rentner will im kommenden Jahr von Hamburg nach England umziehen. Nach EU-Recht kann ein Deutscher auch dort ein Insolvenzverfahren beginnen. Denn dort ist man schon nach rund einem Jahr raus aus den Schulden. Voraussetzung: Der Wohnsitz befindet sich in dem entsprechenden Land, und man hat dort einen festen Job.

Im Internet werden in zahlreichen Foren die Vor- und Nachteile von Auslands-Entschuldungen diskutiert. Dort gibt es aber genauso wenig Fachberatung wie in der Selbsthilfegruppe. Neben England sind auch Frankreich und Belgien beliebte Länder, um die Insolvenz zu durchlaufen.

Doch der "Insolvenz-Tourismus" ärgert die ausländischen Gerichte. Gleichzeitig bereichern sich einige deutsche Anwälte mit dubiosen Angeboten an den Entschuldungswilligen. Und auch der Inkasso-Unternehmen-Sprecher Marco Weber findet es nicht gerecht, wenn Menschen Schulden im eigenen Land machen und sich dann im Ausland verhältnismäßig schnell davon entledigen. Doch Attila von Unruh hält diese Möglichkeit für eine legitime Alternative.

Materielles gewinnt neuen Wert

Die Insolvenz machte aus ihnen andere Menschen, da sind sich die "Anonymen Insolvenzler" sicher. Sie fanden heraus, wer ihre wahren Freunde sind, und lernten, auch kleine Dinge zu schätzen. Für Anna W. war es schon ein "Luxusanfall", als sie sich 200 Gramm Krabben und einen Piccolo gönnte - Belohnung für die überstandene Insolvenz.

Noch heute scheut sie den Gang zum Briefkasten. Nur mit Herzklopfen schafft sie es dorthin, wo lange Zeit nur Mahnungen und Forderungen auf sie warteten. "Jetzt kann doch nix mehr kommen", beruhigt sie ein Teilnehmer der Selbsthilfegruppe. "Ja, eigentlich schon", sagt Anna W. und blickt zu Boden.>

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