2.4.2012: Problem
gelöst: Blutbahnen verödet - und es strömt nicht
mehr zu viel Blut in die Prostata
aus: Spiegel online: Männerleiden vergrößerte Prostata:
Israelische Forscher proben neue Therapie; 2.4.2012;
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,825195,00.html
<Von Gil Yaron
Prostata (Modell): Vergrößerte Vorsteherdrüse drückt den
Harnleiter ab.
Millionen Männer kennen das Problem: Mit den
Jahren macht eine vergrößerte Prostata Probleme, der
Gang zur Toilette wird schmerzhaft. Israelische Ärzte
liefern nun eine arzneimittelfreie Therapie. Die Idee
brachte ihnen ein früheres Studium - der
Strömungsmechanik.
Tel Aviv - Wenn die Prostata wächst, wird der Alltag zur
Hölle. Je umfangreicher die etwa kastaniengroße Drüse im
Becken wird, desto mehr schnürt sie den Harnleiter ab.
Jeder Gang zur Toilette wird zur Qual. Im
fortgeschrittenen Stadium drückt die gutartige
Prostata-Vergrößerung, "benigne Prostatahyperplasie"
(BPH) genannt, den Harnleiter fast vollends zu. Die
Blase kann sich nicht mehr entleeren. Nierenschäden und
Infektionen sind mögliche Folgen. Rund die Hälfte der
Männer über 50 Jahren leiden unter BPH, im neunten
Jahrzehnt steigt die Rate auf über 75 Prozent.
Die Ärzte Yigal Gat und Menahem Goren vom Klinikum Ramat
Gan in Tel Aviv wollen dem bekannten Männerleiden nun
mit einem neuen, mechanisch orientierten Lösungsansatz
begegnen. Weniger ein gestiegener Testosteronspiegel sei
Schuld an der Entstehung einer vergrößerten Prostata,
behaupteten die Mediziner, eigentlich läge es am
aufrechten Gang des Menschen. Statt auf Medikamente zur
Steuerung des Stoffwechsels setzten sie daher auf eine
Lösung, die sich am Aufbau des Blutkreislaufs
orientiert.
Bei dem Eingriff wird ein Katheter in bestimmte
Blutgefäße eingeführt und lässt diese veröden: Der
Eingriff dauere etwa zwei Stunden, erfolge mit lokaler
Betäubung, die Patienten könnten sofort wieder nach
Hause gehen, erklärt Gat. Die Erfolgsquote läge bei über
85 Prozent.
Mehr Lebens- und Liebeslust
"Die Symptome verschwinden innerhalb weniger Wochen",
sagt Gat. Nicht nur das Problem mit der ewig überfüllten
Blase werde so gelöst: "Die Männer fühlen sich nach
kurzer Zeit insgesamt besser: Ihr Testosteronspiegel
steigt zurück auf ein normales Niveau. Sie berichteten,
wieder mehr Kraft, Lebens- und Liebeslust zu haben."
Dabei sei seine Methode risikoarm. Kein Patient habe
beim Eingriff Schaden erlitten, so die israelischen
Ärzte.
In ihrer ersten Studie, publiziert im Fachmagazin
"European Urological Review", beschreiben die Mediziner
die Behandlung von 28 Männern. Nach sechs Monaten seien
deren Prostatadrüsen um 55 Prozent geschrumpft.
Inzwischen hat Gat nach eigenen Angaben mehr als 120
Patienten mit seiner neuen Methode behandelt, die
Ergebnisse sind allerdings noch nicht veröffentlicht.
Jürgen Gschwend, Direktor der Urologischen Klinik im
Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität
München, ist im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE bedingt
optimistisch: "Wenn diese Zahlen tatsächlich stimmen,
wäre das ein Durchbruch." Bisherige Behandlungen
erzielten weitaus geringere Erfolgsraten, und hätten
teils schwere Nebenwirkungen. "Die Frage ist nur: Ist
das Ergebnis reproduzierbar? Bevor große Studien das
gleiche Ergebnis in mehreren Zentren erzielen, bleibt
Gschwend skeptisch. "Revolutionäre Entdeckungen
verlieren bei intensiver Untersuchung oft viel von ihrem
Glanz."
Studium der Physik brachte Idee
Bisherige Therapien der BPH agieren auf zwei Ebenen.
Chirurgen entfernen die Prostata mit einem chirurgischen
Eingriff. Doch egal ob man schneidet, schabt, die
Prostata einfriert, bestrahlt oder mit Mikrowellen
verdampft: Das Risiko für ungewollte Schäden blieb groß.
Statt nicht mehr urinieren zu können, läuft bei so
manchem Patienten nun die Blase einfach über und aus.
Vielen war dieses Risiko zu groß.
"Der andere Lösungsansatz vermutete eine altersbedingte
Störung des Hormonstoffwechsels als Ursache von BPH",
sagt Gschwend. Zellen in der Prostata wachsen wegen zu
hoher Konzentrationen des männlichen Hormons
Testosteron. Folglich verschreiben Ärzte Medikamente,
die die Verwandlung von Testosteron in den potenteren
Wirkstoff Dihydrotestosteron verhindern.
Trotz dieses scheinbar einfachen Zusammenhangs zwischen
Ursache - also zu viel Testosteron - und Wirkung - dem
Wachstum der Prostata - bleibt BPH ein Rätsel: Bisher
fanden Wissenschaftler im Blut von BPH-Patienten nämlich
viel niedrigere Konzentrationen von Testosteron als bei
jungen Männern. Erhielten die Notleidenden nun auch noch
Stoffe, die die Umwandlung von Testosteron verhindern,
war es bei vielen mit der vom Botenstoff angefeuerten
Liebeslust vorbei. Zwar konnten sie sich Dank des
verbesserten Urinstrahls endlich wieder entleeren, der
nächtliche Gang zur Toilette blieb aus. Doch die süßen
Träume gingen auf Kosten des nun nicht mehr
stattfindenden Beischlafs.
Alles überholt, meint Androloge Gat. Bevor er Arzt
wurde, studierte er an der technischen Hochschule in
Haifa Physik, mit dem Schwerpunkt Strömungsmechanik. Gat
sieht in BPH eine Folge des aufrechten Ganges des Homo
sapiens. Da der Mensch auf zwei Beinen gehe, müsse das
Blut vom Hoden auf einzigartige Weise abgeführt werden:
"Bei Tieren fließt das Blut in den Venen horizontal.
Aber bei Menschen muss es nach oben, zurück zum Herz,
ohne dass es dafür eine Pumpe gibt."
Kein Druck mehr im Hoden
Deswegen entwickelten sich in der so genannten Vena
Spermatica besondere Klappen, die das Blut nur in eine
Richtung, gen Herz, durchlassen: "Mit zunehmenden Alter
funktionieren diese Klappen aber nicht mehr, ein
Rückstau ist die Folge", sagt Gat. Der Stau erzeuge im
Hoden einen bis zu achtfach höheren Druck als normal.
Statt an der Niere vorbei fließt das Blut nun durch
Kollateralgefäße, also natürliche Umleitungen, auf
anderen Wegen zurück zum Herz. Dieser Umweg führt über
die Prostata: Der Blutstau lasse die Prostata nicht nur
anschwellen, sondern überschwemme sie auch mit
Testosteron direkt aus dem Hoden nebenan: "Statt wie der
gesamte Körper stark verdünnte Portionen zu erhalten,
bekommen die Zellen der Prostata eine geballte Ladung
Testosteron ab." So entstehe BPH. Es sei kein hormonelle
Störung, sondern eine Frage der Installation.
Folglich behandeln Gat und Goren BPH, indem sie die
problematischen Blutgefäße mit Kathetern verschließen:
"Wenn die Vena Spermatica zu ist, gibt es keinen Druck
mehr im Hoden. Das Blut drängt jetzt nicht mehr in die
Prostata, sondern fließt normal ab. Problem gelöst",
sagt Gat.
Gschwend bestätigt, dass der Ansatz "sehr originell"
ist. Niemand kam bisher auf die Idee, BPH von dieser
Seite anzugehen." Doch der Experte warnt vor vorzeitiger
Euphorie über die noch ungeprüfte Heilungsmethode - und
es wird wohl noch Jahre dauern, bis die israelische
Studie weltweit in anderen Zentren wiederholt wird.>